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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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Er wandte sich an mich.
    »Schatzi, du weißt genau, wie ich's verabscheue, wenn Leute sich von ihren Gefühlen hinreißen lassen.«
    »Du hast mich ja so weit getrieben«, begann ich meine Antwort, »daß ich …«
    »Nehmen Sie Platz, mein Sohn.« Thatcher zog an Lesters Ärmel, deutete auf eine Ottomane, die in der Nähe stand. »Sie auch, Joanna.«
    »Wirst du mir wohl mal zuhören? Erwartest du, daß ich Bernard deine Darstellung bestätige? Ich denke gar nicht daran, dich darin zu unterstützen, Thatcher …«
    »Bernard, bin ich nicht 'ne ehrliche Haut zu Ihnen gewesen?« Ich achtete nicht auf Bernards Reaktion. »Moralpredigten sind momentan total überflüssig, Schatzi.«
    »Es gibt keine Entschuldigung für dein Vorgehen«, sagte ich. »Überhaupt keine.«
    »Sagen Sie, Lester«, fragte Thatcher, »macht es den Gast so fies wie den Gastgeber, wenn er am Tisch eines Mörders sitzt?«
    »Manchmal«, sagte Lester. Thatcher hob die Schultern, steckte die Hände vor sich aus, als ob er erwartete, eins mit dem Rohrstock auf die Pfoten zu kriegen.
    »Riechen Sie diese Düfte aus der Küche?« fragte er. »Ich hoffe, niemand hat zu üppig gefrühstückt. Heute wird kolossal gespachtelt.«
    Bernard seufzte, setzte sich mit allen Anzeichen, sich durchs Hin- und Herlatschen schier bis zum Stupor abgebaggert zu haben, in einen Ohrensessel. Ich blieb vor ihm und Thatcher stehen, lechzte geradezu nach meiner Gelegenheit, die Wahrheit zu bezeugen.
    »Selbst wenn du gegenüber allem anderen blind sein solltest, Thatcher«, sagte ich, »glaubst du nicht, du müßtest wenigstens auf dich achtgeben? Meinst du nicht, du hättest dabei auch umkommen können? Hast du das berücksichtigt?«
    »Meine Jungs hauen nicht daneben«, erwiderte Thatcher. Avi überhörte das indirekte Lob, betrachtete seine Fingernägel, als suchte er eventuell verbliebene Blutspuren.
    »So was ist Irrsinn, Thatcher. Es ist unmoralisch. Ich habe jetzt die Nase endgültig voll …«
    »Wir waren gestern so beschäftigt, daß ich gar keine Gelegenheit gefunden habe, um den Sachverhalt zu erklären«, antwortete er. »Natürlich liegt's nahe, vorschnell zu urteilen, ich wäre nicht ganz offen gewesen …«
    »Deine Erklärungen erklären nie irgend etwas«, warf ich ihm vor. »Sie bestehen nur aus Rechtfertigungen, Ausreden und Lügen. Niemals erklären sie was. Welchen Grund zur Ermordung der Leute solltest du außer Paranoia denn gehabt haben, Thatcher? Kannst du mir darauf eine Antwort geben, ja, kannst du das …?«
    »Wo haben Sie eigentlich die ganze Zeit gearbeitet, meine Liebe, in einem Damenstift?« fragte Bernard, indem er uns unterbrach. »Das alles bedeutet doch nichts Neues für Sie, es war bloß Ihr erstes direktes Erlebnis dieser Art. Jede Jungfrau erleidet einen kurzen Schmerz, wenn der Anstich erfolgt.«
    »Der Vorfall ist zu Ihrer Zufriedenheit geklärt worden?« fragte ich ihn.
    »Auf alle Fälle ist der Vertrag unterschrieben. Man soll ein Buch nicht nach seinem Verfasser bewerten.«
    »Wirklichkeit verlangt 'n kniffligen Seilakt, Schatzi«, sagte Thatcher. »Kaum hat man sich an die Weise gewöhnt, wovon man glaubt, so läuft's, und schon zieht's einem den Teppich untern Füßen weg. Man muß sich bereithalten und 'n Vorwärtssprung tun, bevor's dazu kommt. Sobald wir dir die Zusammenhänge erläutert haben, wirst du begreifen, daß wir nicht anders handeln konnten. Wenn's um eindeutige, harte Tatsachen geht, bist du doch genauso vernünftig wie Bernard …«
    »Deine sogenannten Fakten sind schlüpfriger als die Wirklichkeit«, sagte ich. »Und so abgebrüht bin ich keineswegs.«
    »Du hast den Eindruck vermittelt, 's zu sein«, entgegnete Thatcher. »Mir gegenüber trittst du so hart auf, wie du zu dir selbst bist, Schatzi. Du bist zu uns beiden unfair. Für was 'n Schlag von Heidern hältst du mich eigentlich?« Er hatte eine Unschuldsmiene wie ein Engel aufgesetzt, aus der er mich mit wie bei einem Kalb feuchten Augen anglubschte. »Man muß die Realität im Würgegriff packen, ehe man von ihr in 'n Schwitzkasten genommen wird, das ist die Frage. Man muß 's zumindest versuchen, probiert man's nämlich nicht, verdient man nichts anderes als das, was 's Leben einem in die Fresse klatscht.« Beim Sprechen kritzelte er auf einem Notizblock, malte kleine Kreise und kreuzte sie mit X-Zeichen durch. »Das ist nun mal das Problem, das Leute haben, die immer in vorderster Linie stehen, bleiben sie lang genug dabei, kriegen sie zwangsläufig

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