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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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alles sieht«, meinte er so versonnen, als gestünde er eine Charakterschwäche ein. Er faltete sein Exemplar des Dokuments zu einem säuberlichen Viereck zusammen und stopfte es in die Jackentasche.
    »Denken Sie daran, Mr. Dryden«, riet Otsuka und lächelte, ohne Zähne zu zeigen. »Alles was Sie nicht sehen können, ist japanisch.«
    »Wir müssen gehen«, sagte Thatcher; ich stand auf, er stand auf, kam zu mir herüber. »Entschuldigen Sie.«
    »Natürlich«, sagte Otsuka. Thatcher nickte.
    »Also los!«
    Als er sich zu Boden warf, riß Thatcher mich mit hinunter. Er plumpste auf mich; der Flaum des Teppichs schabte mir übers Gesicht, während Thatcher mit den Händen meinen Kopf schützte. Durch die Mißklänge eines Getöses hörte ich Geräusche, die dem Wumsen ähnelten, mit dem beim Dart Wurfpfeile sich in die Zielscheibe bohren. Thatcher geriet, gewahrte ich, in einen Zustand der Entrückung und Entzückung: Bei jedem dieser Töne rammelte er gegen mich. Indem ich die Handteller auf den Teppich drückte, vermochte ich mich hochzustemmen, wälzte Thatcher von mir hinab, ehe er sich zum Höhepunkt seiner Wollust steigern konnte. Sobald ich mich aufrichtete, sah ich die ganze Bescherung. Jake kauerte zwischen dem Bonsai und dem Bernsteinklumpen auf Otsukas Schreibtisch, während Avi noch stand, wo er während der gesamten Unterredung gewartet hatte.
    »Zum Lift«, raunte Thatcher, legte in vorgetäuschter Fürsorglichkeit einen Arm um mich, als er sich aufraffte, packte mit der Hand auffällig fest zu. Sogar seine Stimme zitterte. »Immer hübsch mit der Ruhe.«
    Alles hätte in meiner Erinnerung Wirrwarr und Wischiwaschi sein müssen, doch hatte jeder Moment sich mir derartig scharf ins Gedächtnis eingebrannt, daß ich mir noch heute jeden Anblick jenes Nachmittags so leicht vergegenwärtigen wie ich ein Foto in einem Album finden kann. Otsukas Mitarbeiter glichen mit den nach hinten gestreckten Armen, zwischen denen ihre Köpfe baumelten, achtlos vor das bespritzte Fenster gekippten Modepuppen. Otsuka selbst schien mitten in einem Gebet, dessen Erhörung abzuwarten ihm nicht mehr die Zeit blieb, eingeschlafen zu sein. Gus ruhte auf dem von seinem Blut dunklen Teppich. Jake starrte von seinem Engelsthron hinunter auf seinen Mentor, das Gesicht ebenso verzerrt wie das des älteren Freunds. Er nahm Otsukas Schwert vom Schreibtisch, auf den es, kaum blankgezogen, dessen Mitarbeiter entfallen war, steckte es in die Scheide, band sich die Kordel um die Hüften; dann maß er wilden Blicks Avi, anscheinend so wenig wie ich davon überrascht, daß er eine Schußwaffe in der Hand hatte.
    »Hübsch mit der Ruhe«, wiederholte Thatcher. Und wir schlichen uns, verließen das Büro, schlurften durch die Anmeldung und vorbei an der Empfangsdame mit dem ewigen Lächeln. Ich hatte schon Träume gehabt, die einen realeren Eindruck machten als die Geschehnisse dieser Minuten. Mein Magen brannte, als hätte ich kochendes Wasser geschluckt; ich konnte nicht verhindern, daß meine Hände bebten, ich preßte sie zwischen den Armen aneinander, damit meine Begleiter nichts merkten. In meinem Gesicht fühlte ich eine Nässe, als wäre ich stundenlang durch Regen gelaufen, während ich sah, als wir im Lift abwärtsschwebten, wie unter mir siebzig Stockwerke zusammenschrumpften. Ich erinnere mich daran, mich gefragt zu haben, als wir unten anlangten, was Thatcher wohl außerdem auf Lager haben mochte, ob er sich noch ein plötzliches Zwischenspiel ausgedacht haben könnte, bloß um dem Spaß, den er schon gehabt hatte, die Krone aufzusetzen.
    »Vielen Dank«, sagte Thatcher zu den Wächtern, die den Informationsschalter umstanden. »Nett haben Sie's hier.«
    Keine Wächter hielten uns zurück, als wir zur Tür des Gebäudes hinausgingen; niemand hielt uns auf, während wir den Weg fortsetzten, zum Auto eilten. Als wir abfuhren, konnte uns niemand mehr aufhalten. Etwas wie ein Nebel begann mein Bewußtsein zu umfangen, machte jeden Augenblick düsterer und immer kälter, doch statt von Weiß verschlungen zu werden, umnachtete mich tiefe, unbegrenzte Schwärze, als wäre ich vom Himmel in den bodenlosen Abgrund des Weltraums geschleudert worden und begriffe zu spät, daß mir dort nicht einmal Sterne Gesellschaft leisteten. Als ich spät in der Nacht erwachte, lag ich daheim im Bett. Mir schwirrte der Kopf wie infolge einer Reihe von Implosionen ohne Ende, während ich meinen Gefühlen freien Lauf, sie aufbrechen ließ. Das letzte, an

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