Ambient 02 - Heidern
hier auf 'm Grundstück eigene Wächter hat?«
»Wer sonst sollte denn die Wächter bewachen?« entgegnete ich. Seit Dienstag hatte Avi mich ebenso geflissentlich wie Lester gemieden; er wirkte furchtsam und beschämt. Eine dritte Partei hatte die Herausgabe von Gus' Leichnam ausgehandelt, und Jake hatte am Morgen, bevor er mit zum Fest hinausfuhr, Campbell aufgesucht, eine selbst ausgesuchte Urne für die Überbleibsel der Einäscherung mitgenommen. Auf eine Autopsie hatte man verzichtet; man kannte Gus' Todesursache.
»Sind keine Familienangehörigen da?«
»Der Kleine«, sagte ich. Thatcher Dryden jr. fläzte sich in einer Ecke des Zimmers in einem Sessel und hätte nicht fröhlicher aussehen können, wäre er nackt und ohne Sprachkenntnisse mitten unter die gemischte Bevölkerung einer wildfremden Stadt verschlagen worden. »Er ist fünfzehn, glaube ich.«
»Auf 'n ersten Blick hätt ich gedacht«, meinte Lester, »er wär 'n Adoptivkind.«
»Seine Mutter liebt den armen Kleinen. Er ist in stärkerem Grad postalphabetisch als Jake, ich kann ihn kaum verstehen, wenn er redet. Susie besteht darauf, daß er einmal den Konzern leiten soll. Thatcher ist aber dagegen. Deshalb will er, um vorzusorgen, diesen Computer installieren.«
»Ist er hier das einzige andere Familienmitglied?«
»Das einzige überlebende«, sagte ich. »Was die meisten anbelangt, weiß ich nicht, was aus ihnen geworden ist. Über Thatchers Bruder hat mir einmal Bernard etwas erzählt. Er war älter. Er und Thatcher waren Gründer des Unternehmens, und später ist Susie eingestiegen. Sie hat die Geschäftsführung nach dem Tod seines Bruders übernommen.«
»Was ist ihm zugestoßen?«
»Soviel ich gehört habe, hing es mit dem Medellin-Kartell zusammen. Es hatte wegen eines Deals Zoff mit den Zampanos in Cali gegeben, und eines schönen Morgens, erzählte mir Bernard, öffnete Thatcher den Kühlschrank, und sein Bruder fiel heraus. Das beflügelte ihn zu dem, was er danach angestellt hat, egal was es gewesen ist, um ihren Laden zu übernehmen …«
»Und wie steht's mit Mrs. Drydens Familie?«
»Sie hatte einen Bruder. Er arbeitete fürs Medellin-Kartell. Später kam dann heraus, daß er …«
»Und Thatcher ließ ihn killen?«
»Susie.«
Auf einmal stand hinter mir ein Hauswächter, tippte mir auf die Schulter. Ich fragte mich, ob die übrigen Gäste etwa die Absicht vertraten, ich plauderte zu viele Familienanekdötchen aus. »Mr. Dryden möchte Sie unverzüglich sprechen«, teilte der Knülch uns mit und ging ab. Ich nahm Lesters Hand und führte ihn in den Flur.
»Diese Familien haben keine Stammbäume, sondern ein Museum voller Skelette«, bemerkte ich. Vor dem Arbeitszimmer vertrieb Jake sich die Zeit mit dem Betrachten der Münzsammlung Thatchers; über der halbhohen Holzvertäfelung hingen in Kastenrahmen Gold-Dublonen und alte goldene Zehndollarstücke; im cremigen, zitronengelben Licht der Wandleuchten glänzten die Münzen wie winzige Sonnen. Ich sah um Jakes Ärmel ein schwarzes Trauerband. »Alles klar?« fragte ich ihn, streichelte seine Schulter; nie hatte Jake sich einem animierten Sack Altkleider ähnlicher angefühlt. Er nickte, blinzelte mit Augen, in denen rote Fleckchen glitzerten. »Haben Sie heute früh das mit Gus erledigt?«
»Solo«, sagte er. »Mit 'm Lieferwagen. Hab alles brückwärts gestreut, Asche zu Asche zu Asche, voll der Abgang ›fünf Faden tief‹.« Mit dem Kopf machte er eine ruckartige Bewegung in Richtung Tür und zitierte aus seiner Pflichtlektüre. »›Rüttelt Euch, seid auf der Hut!‹«
Avi ließ uns ein, entzog sich unseren Blicken hinter die Tür, die er uns öffnete, schloß sie nach unserem Eintreten ab. Thatchers Arbeitszimmer hatte einmal sechs Fenster gehabt; er hatte sie zumauern und die Ziegel hinter Vorhängen verstecken lassen. An den Wänden ohne Vorhänge reihte sich Regal an Regal aus Eibensequoie, ihre Bretter bogen sich unterm Gewicht Tausender von alten LPs. Avi legte sich auf einen schwarzen Lederdiwan und heftete den Blick starr auf einen Punkt an der Balkendecke. Bernard stapfte vor Thatchers Schreibtisch auf und ab, seine Bewegungen erinnerten mich an den Eisbär, den man einmal im Central Park Zoo gefangengehalten hatte. Thatcher hatte die bloßen Füße auf die gründlich aufgeräumte Schreibtischplatte geschwungen. Hinter ihm gab es drei immer abgeschlossene Aktenschränke zu sehen, von denen er behauptete, sie enthielten seine nützlichsten Vorsorgeprojekte.
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