Ambient 02 - Heidern
wurd mir, daß es ihn grämte, die Schuld tragen zu müssen, ohne auch, im Gegensatz zu sonstigen Leistungen, die Anerkennung genießen zu dürfen. Ich sagte ihm, soweit ich's verstünd, könnten sowohl er, Oswald wie auch Kennedy ganz woanders gewesen sein, und's wär doch alles so geworden, wie's gekommen ist. Seine Laune hat's nicht verbessert. Aber ich glaube, das ließ sich voraussehen.«
»Wenn Sie soviel vorherbestimmt haben, warum geben Sie uns das, was wir als freien Willen auffassen?«
»Der freie Wille betrifft den Weg, auf dem wir hingelangen. Entscheidend ist die Perspektive. Es lohnt mehr, dran zu denken, wieviel schlimmer alles sein könnte.«
»Wie sehr viel schlimmer denn?«
Er gab keine Antwort; ich vermutete, er wußte es, erachtete es jedoch als überflüssig, mir Auskunft zu erteilen. »Was haben die Drydens mit deinem Kind angestellt, Joanna?«
»Damit möchte ich mich nicht beschäftigen …«
»Es hat dich heute schon beschäftigt«, sagte er. »Das Kind war unerwünscht?«
So vieles in meinem Leben schien vor langem in einem fremden Land eine andere Person erlebt zu haben, und ich nahm an, früher in der Tat ein anderer Mensch gewesen zu sein. Indem ich alterte, schlich sich ein Gefühl der Zusammenhanglosigkeit in mein Gemüt, der Eindruck, Ereignisse existierten ausschließlich im Moment ihres Geschehens; sobald gewisse, verirrte Erinnerungen sich in meine Seele stahlen, ließen sie sich leicht bis zu einem bestimmten Grad abschwächen, bis sie den Anschein hatten, als wären sie nur verschwommene Erinnerungsbruchstücke irgendwann einmal angeschauter Fernsehsendungen, einmal gelesener Bücher. Nur wenn ich, wie am Nachmittag, zufällig die Fassung verlor, oder mich willentlich dazu durchrang, entsann ich mich rege an Erlebnisse, die ich vorsätzlich verdrängt hatte.
»Ich hatte für meinen Teil mit Avi abgeschlossen, es ihm aber noch nicht gestanden«, sagte ich. »Etwa um die gleiche Zeit mußte Thatcher geschäftlich nach Buenos Aires fliegen. Bernard konnte nicht mit. An seiner Stelle mußte ich Thatcher begleiten. Davor hatte ich ihn erst ein-, zweimal gesehen gehabt, und jedesmal nur kurz. Auf dem Hinflug ist er, glaube ich, auf mich aufmerksam geworden. Er hat seinen ganzen Charme spielen lassen. Damals schien er völlig anders zu sein, so nett, so …«
»Also hat er dich rumgekriegt«, erriet Lester.
»In zehntausend Metern Höhe«, bestätigte ich seine Vermutung. »Ich bin der Meinung gewesen, ich sei unfruchtbar, aber ich bin es nicht. Zunächst habe ich an Abtreibung gedacht. Die erforderlichen Kontakte hätte ich allerdings nur durch Thatcher knüpfen können, aber er war dagegen, wie erwähnt …«
»Er wußte, es war sein Kind?«
»Es gab die Möglichkeit, daß es Avis Kind gewesen ist«, sagte ich. »Es stand halbe-halbe.«
»Und das wußte er?« Ich nickte. »Und Susie?«
»Es geschah überhaupt nichts, als sie davon erfuhr, und das hat mich verdutzt. Ich bin nicht sicher, wie bald sie unsere Affäre bemerkt hat. Sie war ständig unterwegs, um irgend etwas zu regeln oder zu erledigen, und in der Anfangszeit benahm Thatcher sich noch diskret. Je länger die Schwangerschaft dauerte, um so mehr wollte ich das Kind, egal von wem es sein mochte. Als die Wehen einsetzten, wollte ich es unbedingt behalten. Ich hatte vorher so gut auf mich aufgepaßt, das Rauchen eingestellt, keinen Alkohol mehr getrunken …«
»Und wie ist's gelaufen?«
»Sie hatten mir ja ihre Haltung deutlich genug erklärt. Thatcher hatte es. Er versprach mir den Beistand der besten Firmengynäkologin. Ich wünschte mir eine natürliche Geburt, und er sagte, das sei kein Problem. Gus hat mit mir im Büro in der Mittagspause Schwangerschaftsgymnastik geübt. Als es soweit war, haben sie mich in die Beekman-Klinik gefahren. Susie, Thatcher und Gus. Avi wußte von meiner Schwangerschaft, aber ich hatte ihm versichert, ich hätte einen Test machen lassen, und es sei nicht sein Kind, aber es war keine Untersuchung vorgenommen worden, ich wollte gar nicht wissen, wer der Vater ist. Eigentlich hatte ich vor, ehrlich zu ihm zu sein, aber schließlich hab ich doch gelogen.«
»Und dann?«
»Sie zogen mir mein Nachthemd an. Spritzten mir etwas in den Arm, während …« Während sie mich rasierten; Thatcher mich rasiert hatte. Er hatte gefragt, ob er es dürfte, und außer mir war niemand dagegen gewesen. »Ich war von den Medikamenten völlig benommen. Ich entsinne mich, wie ich auf dem Tisch lag.
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