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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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verständnisvoll, auf sein jugendliches Alter Rücksicht zu nehmen. Seine Mutter ist schuldig befunden und verurteilt worden. Sie legte keine Berufung ein, also ging sie in den Karzer, oder wohin sie in dem Fall in Kentucky eben gehen. Sechs Monate später hat ein Feuer zweifelhaften Ursprungs ihre Zelle verwüstet. Sie hielt sich währenddessen darin auf.«
    »Zweifelhaften Ursprungs?« wiederholte ich. »Inwiefern?«
    »Die einzige Brandursache, auf die man sich später einigen konnte«, sagte Thatcher, »war Spontane Selbstverbrennung.«
    »Bei Gerichtsmedizinern nicht gerade die beliebteste Todesart«, witzelte Bernard. »Der Befund lautete schließlich …« Er verstummte, blätterte mit dem Daumen die Unterlagen auf dem Tisch durch, bis er das gesuchte Dokument fand. »Tod durch Unfall«, las er ab. »Infolgedessen geriet Macaffrey, der arme Junge, für kurze Zeit in staatliche Obhut. Man unterwarf ihn hinsichtlich seiner Intelligenz und Persönlichkeit einer beachtlichen Zahl von Tests. Lebende Familienangehörige hatte er nicht mehr, also schleuste man ihn durch eine Reihe von Pflegefamilien. Zwischendurch wurde er weiterhin in gleichmäßigen Abständen Tests unterzogen. Emotionale Blessuren erkannte man schon ziemlich früh, außerdem einen scharfen, aber unausgeglichenen Verstand. Er veräppelte die Leute so sehr, daß sie einmal sogar den Rhine-Test auf ASW vornahmen. Die Resultate ließen keine eindeutigen Folgerungen zu, aber das kann ja wohl niemanden wundern …«
    »Anscheinend ist er jedesmal in Familien untergebracht worden, wo die Väter viel Zeit hatten«, erzählte an Bernards Stelle Thatcher weiter. »In einer davon ist er, wie's aussieht, ziemlich regelmäßig geprügelt worden. In 'ner anderen war er allem Anschein nach recht zufrieden, aber dann verzog die Familie zwecks Arbeitssuche nach Houston, und die für sein Wohlergehen zuständigen Behörden ließen ihn nicht mitziehen. Sie steckten ihn in 'ne Familie, wo der Vater, wenn er nicht ihn verdrosch, die Töchter mißhandelte. Da war Lester fünfzehn. Keine Ahnung, wie alt die Töchter waren, ob er gewußt hat, wie's denen ging, oder ob er, falls er's wußte, was dagegen unternommen hat.«
    »Wir wissen aber, daß er ausgebüchst ist«, sagte Bernard. »Aus den nächsten vier Jahren liegen keine Aufzeichnungen darüber vor, was er getan hat oder wo er gewesen ist. Vor zehn Jahren ist er in New York aufgetaucht und lebte zuerst in völliger Unbekanntheit, bis ihn der Drang übermannte, seine eingebildete Rolle als Heiland des Unteraffenkaffs auszufüllen. Der Rest ist Schweigen. Frank, wiederholen Sie noch mal die Ergebnisse unserer Untersuchungen.«
    »Es liegt eine auffällige penetrante Assoziationsstörung vor«, erklärte Frank. »Vielleicht disponiert sie das Subjekt zu einer schizophrenen Bewußtseinsveränderung im Laufe der nächsten paar Jahre. Ein manisch-depressives Syndrom in unverfälschter Manifestation ist nicht diagnostizierbar, obwohl er Phasen schwerer Depressivität durchlebt, die mit Episoden abwechseln, in denen der konstatierbare messianische Wahnkomplex sich stärker durchsetzt. Wir erkennen unmißverständliche Symptome ethylitischer Mythomanie …«
    »Das müssen Sie mir noch mal verklickern«, unterbrach ihn Thatcher.
    »Es handelt sich um die Tendenz, sich zu sehr mit historischen Vorgängen zu identifizieren«, verdeutlichte Frank. »Den Irrglauben, die eigenen Taten beeinflußten die Gesellschaft in Gegenwart und Zukunft, ja sogar in der Vergangenheit. Beachten Sie, daß man auch in den meisten Untersuchungen der Persönlichkeit sogenannter großer Menschen stets psychotische Eigenschaften feststellt. Man kann sagen …«
    »Man kann sagen«, vollendete Bernard den Satz, »er ist kein Typ, dem wir unsere Töchter geben würden.«
    »Sie gestehen ihm nach wie vor zu wenig Vertrauensvorschuß zu«, rügte Thatcher.
    »Was er hatte, hat er verspielt.«
    »Wir werden ja sehen«, sagte Thatcher. »Können wir nun loslegen? Ich möchte Susies Anruf nicht verpassen.«
    »Na schön.« Der Raum wurde dunkel; hell wie das Gleißen von Sonnenschein auf einem Gletscher strahlte ein weißes Licht durch die Spiegelwand, machte sie durchsichtig. Der andere Raum hatte einen so vollkommen schneeweißen Anstrich, und die Ausleuchtung geschah dermaßen gleichmäßig, daß Lester, weil jeder Bezugspunkt für eine Perspektive fehlte, einen halben Meter oder einen Kilometer entfernt gesessen haben könnte. Er hatte die Knie dicht

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