Ambient 03 - Ambient
das Javits Center. Von der Stadtmitte abwärts herrschte reger Schiffsverkehr von Lastkähnen auf dem Hudson, die die neuerbauten Hafenkais ansteuerten oder verließen. Einige dieser Kais waren als Schwimmpontons angelegt, während andere auf Betreiben Drycos so hoch über den mittleren Wasserstand betoniert waren, daß zum Entladen der Frachten Aufzüge benötigt wurden: Stoffe, die in Ausbeuterbetrieben zu Kleidung verarbeitet wurden, Fertigwaren für den Einzelhandelsverkauf, Ersatzteile und Geräte aller Art. Die Lebensmittel für Manhattans wimmelnde Bevölkerungsmassen kamen mit Lastkähnen über den Fluß, mit Güterzügen aus dem Norden und zweimal täglich mit Lastwagenkonvois durch den Tunnel, und wurden von der Armee über das Javits Center abgefertigt. Aus den mehr als einhundert Ausfahrten des Komplexes ergossen sich Ströme von Lastwagen, Lieferwagen, zweckentfremdeten Personenwagen, Transportkarren und Fuhrwerken, alle hochbeladen mit Waren. Armeetransporter parkten in der Nähe des neueren Teils, so daß die begehrtesten Artikel – Fleisch, Frischmilch und frisches Obst – nach ihrer Beschlagnahme zu den Zonenhauptquartieren verladen werden konnten. Die Öffentlichkeit nahm, was ihr gegeben wurde – daran war nichts Ungewöhnliches.
»Was könnte das sein?« fragte ich und sah ihm in die Augen, um zu ergründen, was dort sein mochte; doch sah ich nur die Augen von einem, der von etwas entkommen war – oftmals.
»Daß sein Plan ausgeklügelt sein könnte. Daß er mit dem Grün und mit der Bronx nur Zerstörung beabsichtigt. Zugrunde richten will, was er erbaut hatte. Was Mutter erbaut hatte.«
»Vorsätzlich?« fragte ich, überrascht, einen Esel den anderen ›Langohr‹ schimpfen zu hören.
»Warum nicht?« versetzte er. »Er hat Schlimmeres getan, glauben Sie mir!«
Im weiteren Verlauf unseres Gesprächs wandte ich den Kopf und überblickte den Fluß, denn ich hatte unter dem glasigen Überzug seiner Augen nichts gefunden, in seinen Zügen – außer dem Schweiß und dem Zittern und der Blässe – keine Anzeichen von etwas bemerkt, das mich so tief beunruhigte, daß ich Ursache sah, mich zu fürchten. Mister Dryden schwankte am Rande der Hysterie; umarmte das Chaos über dem Abgrund, würde Enid sagen.
»Warum sollte er das tun wollen?« fragte ich in ruhigem Ton, um ihn nicht weiter zu erregen.
»Paranoia geht tief, sagt er. Seine geht zwanzigmal tiefer als meine. Er will mich davor bewahren, sie zu bekommen, OM. Ich weiß nicht, warum. Er wird den ganzen Karren in den Dreck fahren.«
»Haben Sie darüber gesprochen …?«
»Sprechzeit ist um. Er ist jetzt bereit, mich fertigzumachen. Jederzeit.«
»Vielleicht nicht.«
»Doch, er ist«, wiederholte Mister Dryden, und sein Zittern nahm zu; ich sorgte mich flüchtig, daß er seine Drogen unvorsichtig kombiniert haben könnte, aber dann ließ das Zittern nach. »Er will mich kaltstellen.«
»Aber warum?«
»Weil er einen an der Knolle hat, wie ich sagte. Schießt, wenn es ihm gerade in den Sinn kommt.« Mister Drydens Unterlippe war blutig genagt. »Ich bin überzeugt, daß er noch immer glaubt, er habe es mit der Vernunft.«
»Meinen Sie?«
»Wie gesagt, Sprechzeit ist um. Großaktion ruft.«
»Was ist geplant?« fragte ich.
»Ich habe den Verdacht, er ahnt, daß ich ihm was antun werde.«
»Was?«
»Was ich vorhabe, ihm anzutun«, sagte er. »Ich werde Hilfe brauchen. Ganz verschwiegene Hilfe. Schlauheit ist angesagt.«
Der Verkehr verlangsamte sich, als wir uns der Kontrollzone Stadtmitte näherten, sogar auf der 1A-Fahrspur. Kurz vor der Straßensperre sah ich stehenden Verkehr in der Canal Street; alles wartete auf die Durchfahrt durch den Holland Tunnel, die einzige für den öffentlichen Gebrauch freigegebene Verbindung mit dem anderen Ufer des Hudson. Gegenwärtig wurden neue Sicherheitsbauwerke zum Schutz gegen Überflutungen errichtet, und der Tunnel war täglich nur wenige Stunden geöffnet. Der Lincoln Tunnel, der dem Javits Center am nächsten war, und die George Washington-Brücke, hoch über dem Wasser und standfest, waren militärischer Nutzung vorbehalten. Öllachen auf dem Fluß waren in Brand geraten und flammten gelb unter schwarzem Rauch. Als ich über die Wasseroberfläche blickte; alte Kisten, Autoreifen, Kartonagen, Papier und Holz trieben mit der Strömung flußabwärts. Die Sonne blinzelte da und dort durch die Wolken, beschien die Hochhäuser von Jersey City und legte unruhigen Schimmer über das
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