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Ambient 03 - Ambient

Ambient 03 - Ambient

Titel: Ambient 03 - Ambient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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Zug hing noch immer von der Hochbahnbrücke herab, knorrig wie altes Treibholz.
    »Meinst du, wir werden Schwierigkeiten haben, hineinzukommen?«
    »Nicht mit mir am Steuer, Mann. Nicht mit Martin am Tor. Martin steht auf der Seite des Löwen.«
    »Auf wessen Seite stehst du?« fragte ich.
    »Auf meiner Seite, Mann. Niemand hat ein Pfandrecht auf meine Seele.«
    »Jeder von ihnen dachte, du stündest auf der Seite des anderen.«
    Er lachte. »Drydens schauen, sehen aber nie. Reden, sprechen aber nie. Wo ich fahre, dreht meine Hand das Lenkrad. Wenn sie Benzin kaufen wollen, können sie es tun.«
    Jenseits der 137., auf der anderen Seite des Tales, lag West Harlem auf höherem Gelände, war deswegen aber nicht beliebter. Die Verwüstungen durch die Banden, und durch die Armee bei ihrer Bekämpfung, hatten einen hohen Zoll gefordert. Kleinere Gebäude waren ausgebrannt oder mit Brettern vernagelt und zeigten Granateinschläge; größere, wo Obdachlose hausten, waren nur von trocknender Wäsche belebt, die bunt aus den Fensterhöhlen wehte. Große Plakatwände vor den Fronten der größten Wohnblocks standen abblätternd und verblaßt im trüben Sonnenlicht: die angepriesenen Markenartikel wurden nicht mehr verkauft, Wahlkandidaten waren längst geschlagen, Revuen und Musicals längst gelaufen. In der 155. markierten kunstvoll gestaltete Ruinen die Überreste einer prachtvollen alten Kirche; der Schutt überblickte einen aufgelassenen Friedhof und den Broadway. Die Grabsteine waren umgeworfen und zerbrochen, überwuchert von einem Gestrüpp, an dem sich Macheten stumpfbeißen konnten.
    »Avalon könnte tot sein«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Jimmy, als ahnte ich bereits, daß ich mich mit dem Gedanken würde vertraut machen müssen.
    »Könnte sein«, sagte Jimmy und nickte. »Ist aber nicht.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Vermutung, Mann. Das ist alles. Sie ist ein scharfes Messer, das dafür zu tief schneidet.«
    Er hatte seine Tonpfeife ausgeraucht und klopfte sie in einer Tasse aus, die er mit Klebeband am Armaturenbrett befestigt hatte. Wir fuhren in die Sekundärzone Inwood. Hier oben befanden wir uns auf höhergelegenem Terrain, das immer trocken bleiben würde. Die Gegend war einigermaßen sicher, und die Bevölkerung beinahe so groß wie an der Oberen Westseite. Es gab Autos, Busse, sogar Taxis; die Bourgeoisgeschäfte der Zone florierten und verkauften Waren, die ein halbes Jahr frischer waren als jene, die in Chelsea, oder an der Oberen Ostseite verkauft wurden. Fuhr man durch Inwood, konnte man beinahe vergessen, daß ringsum New York war; für kurze Zeit konnten Träume Gestalt annehmen, und es hatte den Anschein, daß nichts allzu Widriges jemals irgendwo geschehen sei; dann erwachte man aus dem Traum, wenn man die Zugbrücke in die Bronx überquerte.
    »Gute Gegend, um sich zur Ruhe zu setzen, eines Tages«, sagte Jimmy.
    Die Hochbahnbrücke auf dem Broadway war vor Jahren abgerissen und verschrottet worden – ich glaube, die Stadt oder Dryco hatten den Stahl an Rußland verkauft –, und wir hatten einen ungehinderten Ausblick auf das umgebende Gelände. Zu unserer Linken war Riverdale, wo die Generäle der Heimatarmee des Distrikts New York wohnten. Zur Rechten waren die Hügel und Ebenen der Bronx, abgeräumt und in Erwartung der Neubebauung. Gebäude, die als erhaltenswert gekennzeichnet waren – es gab viele –, blieben unter Armeebewachung: alte Mietshäuser am Concourse, Wohnblocks aus dem frühen 20. Jahrhundert; rote Backsteinreihenhäuser; von steinernen Löwenpaaren bewachte Hofanlagen; große Häuser entlang dem Pelham Parkway; und dazwischen überall sanft gewelltes, freies Feld, gesalzen mit herumliegenden Ziegelsteinen. Vor jedem unbebauten Grundstück stand eine Tafel mit der Aufschrift: EIGENTUM DER DRYCO / BEI UNBEFUGTEM BETRETEN WIRD GESCHOSSEN. Die Ruine des Yankee-Stadions, von Kletterpflanzen ganz überwachsen, ragte hoch aus der südlichen Ebene. Es war zerstört worden, als die alten Yankees das letztemal die Endspielrunde gewannen; feiernde Anhänger hatten das Stadion im Begeisterungstaumel angezündet und ausbrennen lassen. Die Yankees waren nach Nashville umgezogen und hatten ihren Namen geändert; der Alte Mann beabsichtigte, die Mauern des Stadions als eine Art Gegenstück zum Kolosseum in Rom zu erhalten.
    Als wir am Van Cortlandt Park vorbeifuhren, dessen Laub in der Verwirrung der Jahreszeiten grünlichbraun war, versuchte ich mir vorzustellen, wie es

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