Ambient 03 - Ambient
durchaus dagegen. Die Pax Atomica verordnete und verhieß, daß alle Nuklearwaffen aller Länder abgeschafft werden sollten: verschrottet oder in den Weltraum geschossen, und so geschah es. Ganz gleich, wie unsere Welt zu Zeiten ausgesehen haben mochte, wir hatten immer die tröstliche Gewißheit, daß sie wenigstens da sein würde, einen Ort zur Verfügung zu stellen, wo die meisten für alle Zeit leiden konnten.
»Es funktioniert nicht so, wie es sollte, sagen Sie? Was meinen Sie damit? Wie sollte es nicht funktionieren?«
»Sie wollte es nicht sagen. Ich meine …«
»Was?«
»Ich meine, sie wollte andeuten, daß einige noch existieren. Daß er weiß, wo sie sich befinden. Daß er sie anwenden würde.«
Als die Pax Atomica in Kraft trat, war ich elf; erinnerte mich nur unbestimmter Erzählungen davon, was diese Bomben angeblich anrichten konnten. Es war eines jener Themen, über die niemand sprach.
»Vielleicht will er die Leute bloß glauben machen, er habe sie.«
»Er muß sie haben. Wenn nicht, wären sie ihm längst darauf gekommen.«
»Wenn er während der Ebbe Informationen darüber erhielt«, sagte ich – jetzt schien mir alles klar zu sein –, »dann wird niemand in Regierung und Armee wissen, ob es wirklich so war. Nur er kann es wissen. Verstehen Sie? Er könnte alles und jedes behaupten, und wer könnte es anzweifeln?«
»Das kann nicht der Fall sein.«
»Weil Ihre Mutter anderer Meinung war? Das ist wahrscheinlich, was er sie glauben machen wollte. Sehen Sie …«
»Aber sie wußte auch, was es war.«
»Warum hat sie es Ihnen dann nicht erzählt?«
»Er tötete sie …«
»Es muß einen anderen Grund gegeben haben. Wissen Sie, warum sie Ihnen niemals Genaueres erzählten? Wenn jeder weiß, daß eine Lüge eine Lüge ist, dann nützt die Lüge nicht mehr, nicht wahr?«
Er sagte nichts; ich denke noch immer, daß er mehr gewußt haben mochte, als er zu erkennen gab. Die Angelegenheit begann ein verwirrendes Gefühl zu erzeugen; ein tiefes Unbehagen breitete sich in mir aus. Ob er recht hatte, oder nicht, es gab wenig, was getan oder rückgängig gemacht werden konnte. Dennoch entwickelte sich gleichzeitig ein eigentümliches neues Empfinden; es war wie beim Erntedankessen im Haus von entfernten Verwandten, wenn man nach der Mahlzeit die Teller in die Küche trägt und unter einem Geschirrtuch verborgen eine offene Dose mit burgunderrot gefärbtem Gift neben dem leeren Preiselbeerglas entdeckt. Aber mich trieben zu der Zeit eigennützigere Wünsche an, und meine Sorge um Avalon blockierte gewichtigere Bedenken, die ich unter normalen Umständen hätte zur Geltung kommen lassen. Ich dachte noch immer, daß nichts, was der Alte Mann mit diesem oder irgendeinem anderen Mittel anrichten konnte, so schrecklich sein würde, wie Mister Dryden zu glauben schien.
»Kommen Sie mit!« sagte ich und zog an seinen Jackettaufschlägen. »Wir gehen. Wir werden die Sache ein für allemal regeln. Vorwärts!«
»Nein«, sagte er. »OM, bitte nicht!«
Seine in den Teppich gekrallten Finger wollten nicht loslassen.
»Es gibt keine andere Möglichkeit mehr«, sagte ich. »Sie wollen sich wirklich hinlegen und alles über sich ergehen lassen? Vielleicht erwartet er das von Ihnen. Wollen Sie es wirklich?«
Er wälzte sich auf den Rücken, und für einen Augenblick hatte ich den Eindruck, daß er ernstlich über meine Argumente nachdenken wollte.
»Es gibt keine andere Möglichkeit«, wiederholte ich. Vielleicht gab es eine, aber mir fiel sie nicht ein. Als ich in sein Gesicht blickte, hellten seine Züge sich für einen flüchtigen Moment auf, als ob Wolken sich lichteten und einen Sonnenstrahl durchsickern ließen, der über sein Gesicht ging. Die rosige Farbe kehrte in seine Haut zurück, der krallende Zugriff seiner Hände lockerte sich. Er atmete mehrmals tief durch und seufzte.
»Sie haben recht«, sagte er ruhig. »Es gibt keinen anderen Weg.«
»Genau«, sagte ich, bemüht, nach Mitteln zu suchen, die geeignet sein mochten, seine Seele weiter zu beruhigen und seine Nerven zu festigen. Ich nahm ihn bei den Händen und half ihm, sich zu sitzender Haltung aufzurichten. »Wir werden es nehmen, wie es kommt. Sie können auf mich zählen.«
»Das weiß ich«, sagte er, stand auf und tappte langsam zu seinem umgeworfenen Schreibtisch. Er griff darunter, als suche er etwas. »Ich habe nicht immer recht an Ihnen gehandelt, OM. Es tut mir leid. Was ich gesagt habe, steht …«
»Keine Sorge«, sagte ich.
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