Ambient 03 - Ambient
»Lassen Sie uns einfach gehen. Sie werden Avalon noch nichts angetan haben, meinen Sie nicht auch?«
Er hielt eines seiner Pillenfläschchen in der Hand, augenscheinlich, hatte er es einem Schreibtischfach entnommen. Er verwahrte seine Vorräte überall. »Einstweilen nicht«, sagte er, leise wie eine unter dem Dach gurrende Taube; er zog die Schutzkappe von der Flasche. »Sie wird vorerst sicher sein.«
»Sollten Sie nicht drogenfrei hingehen?« sagte ich mit einem Blick zu seinem Pillenfläschchen, wandte mich dann um, meine Motorsäge zu bergen, wo ich sie liegengelassen hatte: »Sie müssen Ihre fünf Sinne beisammen haben. Diese Pillen werden eines Tages noch Ihr Tod sein.«
Es gab einen dumpfen Schlag, als ob etwas Großes und Weiches vom Himmel gefallen wäre. Ich sah mich um. Mister Dryden lag am Boden; er hatte sich vorher so aufgeregt, daß ich nicht überrascht war, ihn ohnmächtig zu sehen. Ich kniete bei ihm nieder und rüttelte an seiner Schulter.
»Kommen Sie! Es ist Zeit.« Seine Ohnmacht schien jedoch tief zu sein, oder besonders gut simuliert. »Mister Dryden. Kommen Sie, stehen Sie auf!«
Er lag da, als erfreue er sich eines gesunden, erfrischenden Schlafes. Seine Züge waren entspannt, die Lippen lächelten wie in einem angenehmen Traum. Ich zog eines seiner Augenlider zurück; das Auge starrte stumpf aufwärts wie eine schief eingesetzte Glasmurmel.
»Mister Dryden.« Als ich ihn schüttelte, fiel sein Kopf schlaff von einer Seite zur anderen.
Ich legte die Handfläche an seine Brust und fühlte keinen Herzschlag, kein beruhigendes Pochen; fand keinen Puls, als ich sein Handgelenk nahm. Eine von Jakes Spezialitäten im fortgeschrittenen Stadium von Übernahmeverhandlungen war die Übergabe von nicht mehr verhandlungsfähigen Angeboten. Diese besondere Spielart nannte er ein blaues Geschäft, denn blau war die Farbe, die der Empfänger kurz darauf annahm – eine helle azurblaue Tönung, als hätte er in verdünnter Tinte gebadet. Bevor er die letzte Pille geschluckt hatte, hatte die Wirkung schon eingesetzt.
»Mister Dryden.«
Ich gab meine Bemühungen auf, setzte mich in einen seiner breiten Sessel und starrte wie eines von seinen ausgestopften Tieren auf ihn herab; bestürzt, über das, was ich sah, machtlos, etwas daran zu ändern. Nicht weit von Mister Dryden ruhte Renaldo in gekrümmter Haltung, hinlänglich verzerrt, um wie eine von ihrem Postament gestoßene Statue zu erscheinen.
»Mister Dryden«, hörte ich mich sagen, als ob die Worte ihn beizeiten ins Leben zurückrufen könnten, »wachen Sie auf!«
Strähnen seines Haares regten sich leicht in der Brise der Klimaanlage. Er machte keine Bewegung, zeigte keine Reaktion, murmelte kein Wort, drückte keinen Gedanken aus und gewährte keine Geste. Ich wünschte mir beinahe, daß auch ich eine solch allumfassende Ruhe finden könnte, stand aber dann trotz meiner Schmerzen auf, ging zu den Fenstern und zog die Vorhänge zurück. Im Tageslicht sahen er und Renaldo grauer aus als im Halbschatten vorher. Draußen waren die Wolken so dick, daß von der Stadt nichts zu sehen war. Es gab keine Wahl mehr, soviel wußte ich; wenn ich die Chance wollte, wenigstens ein letztes Mal mit Avalon zu sein, würde ich allein hinaufgehen und die Dinge nehmen müssen, wie sie kamen, wie das Ergebnis auch aussehen mochte. Mein Nackenhaar prickelte; Spannung kühlte mein erhitztes Blut. Wenn Mister Dryden so verschreckt gewesen war, daß er sich lieber das Leben genommen hatte, als seinen Vater aufzusuchen, warum sollte ich in meinem Zustand so versessen darauf sein, ohne Pause und Überlegung zu handeln? Das war die Wahl, die ich noch hatte: wieviel Furcht ich mir gestatten sollte. Die Folge dieser Erkenntnis war, daß ich alle Kraft aufbot, solche Furcht zu leugnen. Es hatte keinen Sinn, mich zu sorgen, solange ich nicht wußte, was Gegenstand meiner Sorge sein sollte. Das sagte ich mir vor, um in der Wiederholung Ermutigung zu finden.
13
N IEMAND SAH MICH FORTGEHEN , am wenigsten von allen die beiden, von denen ich mich zuletzt verabschiedet hatte. Über die Personaltreppe gewann ich die Eingangshalle und ging zwischen den Schaukästen durch, ohne jemandes Aufmerksamkeit zu erregen. Durch die Türen zur Plaza sah ich Jimmy draußen beim Wagen stehen; er hatte dem Gebäude den Rücken zugekehrt. Im Nu war ich bei ihm und drückte ihm die Revolvermündung ans Ohr.
»Langsam, Mann, langsam! Was gibt es?« fragte er in ruhigem Ton, wie ich
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