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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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mich zuerst das Mädchen untersuchen. Sie beide sollten noch eine Weile aushalten können. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der eine Schulterverrenkung so beiläufig abtat, wie Sie es tun«, sagte er zu Jake.
    Docs Praxis bestand, soweit ich sehen konnte, aus zwei großen Räumen, einem, der als Wartezimmer diente, dem anderen, der Behandlungszimmer war. Er öffnete ein Fenster, schaltete einen Deckenventilator an und wirbelte warme Luft durch den Raum. Jake trug Oktobrjana in das Behandlungszimmer und legte sie auf einen mit Japanpapier bedeckten gepolsterten Tisch.
    »Wer ist Wanda?« fragte ich. »Ich«, ertönte die laute Altstimme, die ich Augenblicke zuvor vernommen hatte. Wanda, von mittlerer Größe und massivem Körperbau, hatte colafarbene Haut. Ein um den Kopf geknotetes hellila Halstuch verbarg alle bis auf ein paar geglättete Strähnen. Sie schritt durch den Raum wie durch einen Boxring, und ihr rosa Morgenrock fegte den Boden. »Wer will das wissen?«
    »Meine Frau und Mitarbeiterin«, sagte Doc.
    »Krankenschwester«, verbesserte sie ihn. Ihre Stimme hatte einen nicht genauer zu deutenden Akzent. »Bringst du mir wieder Streuner ins Haus, Norman?« fragte sie mit bedrohlich tief absinkender Stimme. Ihr argwöhnischer Blick ging von Jake zu Oktobrjana. »Warum verlegen wir die Praxis nicht gleich ins Nachtasyl? Mächtig großherzig von dir.«
    »Das ist Luther«, sagte er. »Das ist …«
    »Oktobrjana«, sagte Jake.
    »Wer ist der Eiskremverkäufer?« fragte sie und musterte sein schmutziges Weiß von oben bis unten. »Was ist ihr Gewerbe? Alkoholschmuggel?«
    »Das ist Jake«, sagte er. »Sie sind bloß Leute, denen es schlecht ergangen ist, Wanda. Müssen verarztet werden.«
    »Müssen generalüberholt werden, wie sie aussehen. Wer hat sie gefunden, die Katze oder du?«
    »Hab' sie von Jersey mitgebracht. Hol mir meine Tasche, Schatz!« Zu uns: »Sie beide setzen sich ins Wartezimmer, während ich sie untersuche. Lesen Sie was. Unterrichten Sie sich über die Neuigkeiten.«
    Jake und ich, uns selbst überlassen, nahmen sein Wartezimmer in uns auf. Wir äugten Eichenmöbel von ungeahnter Tonnage, hochglanzpolierte Drechsler- und Schreinerarbeit, Wandleuchten mit wattschwachen Glühbirnen, ein altmodisches schwarzes Telefon mit Wählscheibe und textilumsponnenen Kabeln. Mein Blick ging über anderes Treibgut der Zeit: eine Malachitlampe in der Form einer nackten Frau, eine Standuhr, deren filigranartig ausgearbeitete Zeiger von einem Pendel angetrieben wurden; einen Aschenbecher, wo man Zigarren und Zigaretten in die geöffneten Schnäbel von dekorativen Pinguinen stecken konnte; eine Schreibmaschine von der Größe einer Hutschachtel stand auf einem Schreibtisch in der Ecke. Daneben stand ein Papierkorb aus dem ausgehöhlten Fuß eines Elefanten, dessen Abkömmlinge zu meinen Lebzeiten aus der freien Wildbahn verschwunden waren und in Zoos gehaltene Nachzügler zurückließen, um das in lebenslänglich umgewandelte Todesurteil über ihre Art zu verbüßen. Solche Gegenstände in offensichtlichem alltäglichem Gebrauch zu sehen, nicht versteckt in Privatsammlungen, hinter dem Glas von Museumsvitrinen oder für Augenblicke in Filmdekorationen gesehen, versetzte uns in ehrfürchtiges, nicht vorausgesehenes Staunen: der Schock des Alten.
    »Er muß voll begeldet sein«, sagte Jake unter dem Eindruck der Fülle.
    »Alles für täglichen Gebrauch«, sagte ich. »Reif für den Althändler. Fünfzig alte Dollars für alles zusammen, würde ich schätzen. Es erweckt nur den Eindruck von Reichtum.«
    Jake schnaubte, nicht überzeugt. Die Art Geschichte, wie sie in Militärakademien gelehrt wurde, diente als Hintergrund für strategische Studien; von Khe Sanh, Passchendaele und Höchstädt konnte ich jeden Angriff beschreiben, jeden Rückzug, jedes Scharmützel. Aber wenn es darum ging, wann der Füllfederhalter erfunden wurde, wann Kühlschränke zuerst mit Abtauautomatik hergestellt wurden, wann Videokameras zuerst mit Tonaufzeichnung ausgerüstet wurden, hatte ich kaum eine Ahnung. Ich vermutete, daß Jake von Geschichte soviel wußte wie jeder Amerikaner; das heißt, er wußte, daß sich seit seiner Geburt manches verändert hatte – obwohl ich das in Jakes Fall bezweifelte.
    »Ist er vertrauenswürdig?« fragte Jake und nickte zur geschlossenen Tür des Behandlungszimmers. »Wie tief lotet seine Leine?«
    »Sie verarzten«, sagte ich. »Beruhige dich.«
    »Dieser Medizinmann«, sagte Jake. »Was, wenn

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