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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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Viertausendfünfhundertneunundachtzig Kilometer. Scheinbar Sehnenentzündung in Gelenken. Artoskopische Behandlung. Geistig fühle ich mich verdoppelt«, sagte sie. »Was ist los mit mir?«
    Dies war nicht der Ort, es ihr zu sagen; zunehmend besorgt hielt ich Ausschau nach Wanda. Sie stand noch am Zeitungsstand, wartete in der Schlange. Oktobrjanas Gedanken kamen und gingen mit ständig beschleunigter Rate.
    »Mit geeigneten Anlagen könnten alle Lichter von einem einzigen Gerät gesteuert werden«, sagte sie; Jake ließ den Arm um ihre Schultern liegen, um zu verhindern, daß sie vom Sitz sprang. »Tesla konnte das. Mußte gewaltigen Plan gehabt haben. Große Unterstützung durch die Geschäftswelt nötig. Temperament mehr kommerziell orientiert. Keine Angst vor runder Oberfläche. ›New York-New York‹«, begann sie mit falschen Tönen zu singen. »›Will erwachen in einer Stadt von Perversen und Strolchen.‹« Ihr Lachen kam als ein hyperventilierendes Geschmetter. »Eine Parodie-Version, die mir ein amerikanischer Überläufer-Astrophysiker einmal beibrachte. Bevor er das Land verließ, zog er nach Vermont. Haßte die Stadt. Zog dorthin, wo Solschenizyn hinter Maschendraht wohnte. Nicht wie Tolstoj. Nicht wie Zaun von Gulag. Nicht …«
    Wanda schob ihren Einkauf durch mein Fenster und traf mich voll mit den dicken Sonntagsausgaben: die Times, die News, Herald-Tribune and Mail und Mirror. Info von irgendwelcher beziehungsloser Natur war jetzt nicht nach meinem Geschmack; ich hatte längst Übersättigung erreicht. Bevor ich sie zwischen meinen Füßen deponierte, bemerkte ich die Schlagzeile der News: WO IST STALIN? In Hinsicht auf was oder wen? fragte ich mich; seine Haltung würde sicherlich gegen alle ähnlich sein. Der Pakt mit Hitler würde erst im August unterzeichnet werden, es sei denn, er war bereits unterschrieben, oder er würde nicht unterschrieben. Die Möglichkeiten der Zukunft zu sehen, ohne beurteilen zu können, welche schließlich Wirklichkeit würde, war viel störender und beunruhigender, als keinerlei Idee zu haben, was der nächste Tag bringen mochte; es war, als sähe man einen Wagen in voller Fahrt einem Zusammenstoß entgegenrasen und wüßte, daß einer von vier Insassen getötet würde, aber nicht, welcher.
    »Wir werden aufs Land fahren«, sagte Wanda. »An sicherem Ort die Entwicklung abwarten.«
    »Werden wir keine Verkehrskontrollen passieren müssen?« fragte ich. »Sicherlich sind wir inzwischen zur Fahndung ausgeschrieben.«
    »Wir fahren nicht nach Jersey«, sagte sie. »Ich kenne einen Ort auf Long Island.« Sie wartete, bis im Verkehr eine Lücke entstand, die uns das Einfädeln erlaubte, dann zog sie den Wagen auf die Fahrbahn und reihte sich ein; wir kreuzten mehrere Fahrspuren und bogen nach links in die Zweiundvierzigste.
    »Ist das sicher?« fragte Jake.
    »Sicherer als hier«, erwiderte sie. Ich wollte nicht, aber es gab keine andere Wahl. Als meine Füße zuletzt Long Island berührt hatten, war ich aus der Sicherheit eines Hubschraubers auf den unverminten Boden gesprungen; es war während meiner ersten Operation nach meiner Beförderung zum Oberleutnant gewesen. Meine Unteroffiziere und Leute gehörten zur Aufklärungseinheit des Suffolk-Regiments und hatten an einem Junitag Befehl erhalten, an einem Angriff gegen Southampton, Amagansett und Wainscott teilzunehmen, die in der vorausgegangenen Woche mit wenig Erfolg beschossen und angegriffen worden waren. Johnson, mein Johnson, war als mein Stabsunteroffizier bei mir. Es hat wenige schönere Nachmittage gegeben, wolkenlos und blau. Vom Meeresspiegel reflektiertes Sonnenlicht ließ selbst die ödesten Ruinen wie unter der Hand eines alten Meisters aufleuchten. Das Wetter war so vollkommen, daß es keines zu geben schien. Wenn ich in späteren Jahren einen ähnlich schönen Tag sah, überlief es mich regelmäßig.
    Wir fuhren an der ungesicherten, unbeleuchteten Grand Central Station vorbei, an Chryslers Turm aus Stein und Marmor und mehreren Blocks anscheinend verlassener Mietskasernen, und bogen nach links in die First Avenue. Schlachthäuser und Fleischverarbeitungsbetriebe standen am East River, wo in unserer Zeit das UNO-Gebäude stand, und das unausweichliche Aroma des Blutes war noch nicht vom politischen Deodorant ersetzt. Wir erreichten bei der Neunundfünfzigsten die Queensboro-Brücke und fuhren die gepflasterte Rampe hinauf. Zum ersten Mal sah ich mich hinübergefahren, statt -geflogen. Weißes Licht

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