Ambler by Ambler
Mitchell gegangen und haben sich von Marvin Hart bearbeiten lassen. Das nenne ich Vorsorge. Lassen Sie sich noch immer regelmäßig untersuchen? Ich weiß, drüben in Europa gibt es Leute, die darauf keinen Wert legen.« Er sah aus, als wollte er es wirklich wissen.
»Ob ich an einer unheilbaren Krankheit leide, meinen Sie das?«
Er zog einen Flunsch. »Sie wissen ganz genau, was ich meine. Wenn in dieser Stadt ein Schriftsteller anfängt, darüber zu reden, was ihn bewegt, oder auch nur erwägt, darüber zu reden, dann spricht sich das schnell herum. Immer werden Fragen gestellt, verstehen Sie.«
»Ich verstehe. Hat er ne Macke oder baut er langsam ab? Hat er irgendetwas Bedeutendes zu sagen?«
Er sah einen Augenblick verblüfft aus. »Na ja, all das natürlich auch.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wichtig ist eigentlich nur die Frage, welches Verständnis von sittlichen Werten er hat und an welchen Maßstäben er sich als ganzer Mensch orientiert. Letzte Worte sind heutzutage nicht gefragt. Sie sind entweder rührselig oder peinlich und in bezug auf die Lebenden manchmal auch verbittert. Sie wissen schon. Wenn bei manchen Schriftstellern der Sensenmann angeklopft hat, dann verlieren sie anscheinend jegliches Gefühl für das rechte Maß. Damit will ich natürlich nicht sagen, daß das auch bei Ihnen der Fall sein wird.«
»Wie schön.«
»Es könnte aber so sein. Beispielsweise« – er sah sich um, um sicherzugehen, daß niemand mithörte – »wissen Sie ja, daß ein sehr guter Freund von mir während des ersten Schriftstellerstreiks als Streikbrecher auftrat. Na schön, das ist zwanzig Jahre her, und wen interessiert das heute noch. Wenn Sie bei Verstand sind, würden Sie nie daran denken, geschweige denn darüber schreiben. Doch wie sollen wir wissen, ich und mein alter Freund, daß Sie bei Verstand sind? Wer sagt uns das? Wer, wenn nicht Sie? Also frage ich Sie, mein Bester: Sind Sie bei Verstand?«
Ich setzte eine nachdenkliche Miene auf, um Zeit zu gewinnen. 1961 , als die Drehbuchautoren zum ersten Mal gegen die Hollywood-Studios streikten, hatten sich ein paar Schriftsteller gegen ihre Gewerkschaft gestellt und waren später zum Teil bestraft worden. Möglicherweise war dieses spezielle Gewerkschaftsmitglied (bzw. der Freund, falls er existierte) damals ungeschoren davongekommen und hatte nun, mit den Jahren zu Wohlstand gelangt, immer mehr Angst davor, daß die Sache aufflog. Aber warum war ihm ausgerechnet an meinem Schweigen gelegen? Verwechselte er mich mit jemand anders? Ich konnte mich nicht einmal an seinen Namen erinnern. Waren wir beide bei Verstand?
»Mir geht’s ganz gut, meistens«, sagte ich, wenig überzeugend, »zumindest bilde ich’s mir ein. Aber mein Gedächtnis ist miserabel. Ich glaube, ich würde diesen alten Freund von Ihnen nicht erkennen, selbst wenn ich ihn sähe.«
Er strahlte wieder und tätschelte meinen Arm. »Vielen Dank! Ich freue mich.« In ihm nagten aber noch immer Zweifel. »In letzter Zeit keine Scharmützel mit dem Tod gehabt? Überhaupt kein Anzeichen von Hinfälligkeit?«
»Nein, in letzter Zeit nicht.«
»Gut, Sie werden also nicht gemein und nachtragend sein. Das ist bei den Lesern sowieso nicht gefragt. Wissen Sie ja selbst. Man will etwas zum Totlachen, wahre Geschichten über verrückte Produzenten und größenwahnsinnige Stars und verschrobene Charakterdarsteller, je schwärzer der Humor, desto besser. Aber wer bin ich, um Ihnen das zu sagen. Sie haben zehn Jahre hier gelebt. Sie wissen, wo ein Teil dieser Hunde begraben liegt. Sie haben bestimmt oft gelacht.«
»Oh ja. Und es ist das Lachen, an das ich mich erinnere.«
Er zweifelte noch immer an mir, aber ich war in dem Laden, um Bücher zu signieren, und als alter Freund des Autors konnte er mich nicht länger in Beschlag nehmen. Jetzt sagte er, daß alle ihn hören konnten: »Und wie geht’s Joan? Ist sie mitgekommen? Nein? Aber Ihr seid noch immer verheiratet? Dumme Frage, bestimmt seid Ihr das! Wir wohnen jetzt in dem Tal hinter Encino. Ruf mich mal im Studio an, wenn du ein bißchen Zeit hast. Wir hören voneinander, ja?«
Er winkte mir kurz zu (Finger gespreizt, wie es in dieser Gegend üblich ist) und war dann schon verschwunden. Das Rätsel war teilweise gelöst. Höchstwahrscheinlich war es meine Frau gewesen, die von seinem Verhalten während des Streiks erfahren hatte. Ehe ich ihr von dem Zusammentreffen mit ihm berichtete, würde ich aber noch ein wenig warten. Wenn ich
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