Ambler by Ambler
Lehrgangs in Blandford war es, die Kampfbereitschaft von Mannschaften und Offizieren zu testen, indem man verfolgte, wie sie sich unter Streß verhielten. Der Streß bestand darin, daß man uns Schlaf entzog und das Trainingsprogramm andauernd umstieß und auf diese Weise für Verwirrung sorgte. Ich hatte drei Tage nicht geschlafen und war in einer ziemlich konfusen Verfassung, als mir der Befehl überbracht wurde – ein Befehl diesmal und kein Ersuchen –, mich bei adak , Kriegsministerium, Curzon Street House zu melden. Meine Konfusion steigerte sich erheblich, aber ich war dankbar für das bißchen Schlaf, das ich in der Nacht würde finden können.
adak stellte sich als ein sehr freundlicher Oberst heraus, dessen Uniformknöpfe seit Wochen nicht mehr poliert worden waren. Die Abkürzung adak stand für Assistant Director of Army Kinematography. Die Armee schrieb »Kinema« statt »Cinema«, weil das »C« schon von anderen Abkürzungen in Beschlag genommen war, die für weitaus wichtigere Dinge wie Command, Corps oder Catering standen.
Der Befehl von adak lautete, daß ich bei der Anfertigung eines Lehrfilms für die Leute von Combined Operations [den anglo-amerikanischen Invasionsvorbereitungen] mithelfen sollte. Ich sollte mich daher unverzüglich nach Glasgow und von dort nach Troon begeben. In Troon sollte ich mich bei einem Major Thorold Dickinson melden. Er würde mir sagen können, was ich zu tun habe.
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horold war unser militärischer Chef und gewissermaßen der Produzent der Filme, die wir machen sollten. Als Regisseur in Zivil hatte er Filme wie Gaslicht oder Der nächste Verwandte gedreht, der das Thema Sicherheitsmaßnahmen in Kriegszeiten behandelte. Carol Reed, der jetzt Regie führen sollte, hatte sich für seine Aufgabe mit einer Anzahl recht erfolgreicher Gainsborough-Produktionen wie Die Sterne blicken herab und Bankfeiertag empfohlen. Er war drei Wochen zuvor als Hauptmann des Zeugkorps in die Armee eingetreten.
Der vierte in unserem Team war Peter Ustinov, einundzwanzig Jahre alt und frisch vom Royal Sussex Regiment, wo er seine Grundausbildung als einfacher Soldat hinter sich gebracht hatte. Im Jahr zuvor hatte ich ihn schon mal auf der Bühne gesehen, im Wyndham Theatre, wo er in einer Revue mit ein paar selbstgeschriebenen Nummern aufgetreten war. Er hatte sehr gut gespielt. Obwohl er keine soldatische Erscheinung war, schien das nur sehr ranghohen Offizieren aufzufallen. Er war schon jetzt ein diseur und Schauspieler von seltenem und magischem Talent. In seiner Freizeit schrieb er an seinem ersten Stück, House of Regrets.
In Troon wurden wir in einem Strandhotel einquartiert. Zu uns gehörten noch verschiedene technische Berater und Verbindungsoffiziere, darunter ein Landungsoffizier der Marine, der bei dem Angriff auf Saint-Nazaire dabei gewesen war, und ein Major der amerikanischen Nationalgarde aus Wisconsin. Er hatte vor Pearl Harbor als Lebensmittelchemiker in einer Molkerei gearbeitet und konnte faszinierend über die bei der Käsegewinnung agierenden Milchsäurebakterien sprechen. Über Landungsfahrzeuge und die Probleme des Be- und Entladens sprach er weniger versiert. Er war »pro forma« da, weil die gesamte Planung für die Zweite Front unweigerlich als anglo-amerikanisches Unternehmen firmierte. Er hatte den Vorzeige-Amerikaner zu spielen und empfand seine Rolle als absurd.
Doch auch ohne derartige Absurditäten, die die Sache erschwerten, wäre der Lehrfilm über die Arbeit von Landungsoffizieren, den wir drehen sollten, lang, langweilig und wenig lehrreich gewesen. Mit modernen Trickfilmtechniken hätte man die Logistik eines großangelegten Landeunternehmens optisch erläutern können. Da wir aber praktisch kein interessantes Bildmaterial hatten, mit dessen Hilfe die eingesprochenen Kommentare und Erklärungen verständlich geworden wären, gab es keinen Ausweg. Nicht einmal unsere Schwierigkeiten konnten wir beschreiben, ohne eins auf die Finger zu bekommen. »Der Film muß nicht unterhalten, wissen Sie. Er wird ja Teil des Lehrgangs sein. Die Kerle werden ihn sich ansehen müssen , und zwar aufmerksam !« Wir versuchten zu erklären, daß man selbst bei einem unfreiwilligen Publikum kein Interesse wecken könne, wenn man es zu Tode langweile. Das sei nicht die richtige Methode. Die Experten konnten sich jedoch kein Publikum vorstellen, das ihre Tabellen jemals langweilig fand. Das eigentliche Problem seien wir, die Regisseure. Wir nähmen den Film zu sehr auf
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