Ambler by Ambler
Reihe. Dort saß der Premierminister. Das konnten wir schon vom Treppenabsatz aus erkennen. Über seinem enganliegenden Arbeitsanzug trug er einen weiten, gefütterten und gesteppten Morgenmantel aus einem beigefarbenen Stoff. Unter dem Lichtkegel des Projektors und in dem unruhigen Licht, das von der Leinwand reflektiert wurde, sah er wie ein zerwühltes Bett aus. Fregattenkapitän Thompson zischte, wir sollten nach vorne gehen und uns hinsetzen, also liefen wir gebückt unter dem Lichtstrahl des Projektors los. Als ich vorne ankam, war nur noch neben dem Morgenmantel ein Sitz frei.
Mr. Churchill hielt eine Zigarre in der einen Hand und einen Brandy in der anderen. Bis zu dem Moment, als vom ersten Projektor zum zweiten übergewechselt wurde, dachte ich, der Film habe seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Dann bemerkte ich, daß aus der Richtung des Morgenmantels mit Unterbrechungen immer wieder ein Geräusch herüberdrang. Es war kein Schnarchen, er war nicht eingeschlafen. Dann, nach genauerem Hinhören und nachdem ich mich ein wenig zu ihm hinübergelehnt hatte, wurde mir klar, was ich da hörte: er probte eine Rede. Die Wörter selbst konnte ich nicht verstehen. Er probierte einen bestimmten Sprachduktus. Was ich hören konnte, waren die Rhythmen und Sprachmelodien, die er in einem nasalen Sprechgesang vor sich hin summte. Dum-dum-di-dah, und dann dum-dum-di-doh und dann ein fragendes doh-doh-didi? So ging es die ganze Zeit. Er komponierte die Musik, die er seinen Worten unterlegen wollte. Der Film indes war nur halb vergessen. Als Adolphe Menjou seinen großen Auftritt hatte und dem bösen Dirigenten einen Kinnhaken verpaßte, gab Mr. Churchill ein tiefes, befriedigtes »Hah« von sich. Er kannte den Film natürlich gut und war auf den Beinen, noch ehe von der Leinwand das » ende « herabflimmerte. »Ein großartiges Talent, Deanna Durbin«, sagte er und verließ den Saal.
Wir wollten schon gehen, als Fregattenkapitän Thompson auf uns zukam und sagte, wir sollten doch noch auf einen Drink mitkommen, es sei schließlich der Geburtstag des Premierministers. Er führte uns hinunter in einen gruftartigen Salon. Die offizielle Whiskyration für ein zehnköpfiges Offizierskasino war damals nur eine Flasche pro Monat. An diesem Abend stand in Chequers auf jedem Tischchen neben jedem Sessel eine Flasche Whisky, nebst Wasserkaraffe und zwei Gläsern. Und kaum hatte man eine Flasche in die Hand genommen, um sich einzuschenken, wurde sie von einem Butler sofort durch eine volle ersetzt. Der stellvertretende Batteriekommandeur, ein väterlicher Typ, den wir Gaffer (»der Alte«) nannten, murmelte, auf diese Weise wolle man jenen Gästen, die eine ganze Flasche auf einmal austrinken wollten, die Mühe des ständigen Auffüllens ihrer Gläser ersparen. Gaffer hatte das als politische Spitze gemeint. In Friedenszeiten war er Vertreter der Konservativen in Westengland und gehörte jenem Parteiflügel an, der »Winston auch nicht für einen Sechser getraut hatte«.
Es waren nur wenige Zivilisten anwesend. Die bemerkenswerteste Dame unter den Anwesenden war, außer Mrs. Churchill, eine ungepflegt aussehende Frau, die am anderen Ende des Raumes mit dem Rücken zum Kamin stand und sich die Rückseite kratzte. Die Infanterieoffiziere standen nervös in unserer Nähe herum, ebenso wie wir bereit, sich auf das leiseste Zeichen hin zurückzuziehen. Hinter dem Salon, zur hinteren Seite des Hauses gelegen, war die Funkzentrale. Wir konnten die Geräusche von dort hören. Der Premierminister kam aus diesem Raum jetzt zu uns herüber. Er hatte seinen gesteppten Morgenmantel abgelegt und sich einen neuen Brandy eingeschenkt. Mrs. Churchill attackierte ihn mit einem Teller Suppe, doch er machte eine abwehrende Handbewegung und beschloß, von unserer Gruppe Notiz zu nehmen.
»Na, meine Herren«, sagte er aufgeräumt, »Ihr Krieg macht ja prächtige Fortschritte.«
Unser Krieg? Es war eine für uns ungewohnte, gleichwohl ermutigende Vorstellung. Mit einem Whiskyglas in der Hand ist es jedoch nicht möglich, Haltung anzunehmen. statt dessen neigten wir die Köpfe in seine Richtung und versuchten, wie aufmerksame Zuhörer auszusehen.
»Die Achte Armee ist im westlichen Wüstenabschnitt noch immer auf dem Vormarsch«, fuhr er fort. »Der Nachschub läuft über die Marine im Küstenabschnitt nördlich Solium.«
Tatsächlich aber unternahm die Achte Armee an diesem Novembertag den verzweifelten und letztlich erfolglosen Versuch, die
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