Ambler by Ambler
ein kurzes Stück Weg gegangen waren, blieb mein Vater stehen und sah mich an.
»Hast du gemerkt, wie dieser Junge gesprochen hat?«
»Ja, Dad.«
»Du hast vorhin ›yep‹ gesagt. Yep! Warum kannst du nicht wie er sprechen? Warum kannst du nicht wie ein Gentleman sprechen?«
Ich wollte schon antworten, hielt dann aber meinen Mund. Ich hatte sagen wollen, daß ich wahrscheinlich genauso sprechen würde wie dieser Junge, wenn er mich auf dieselbe Schule geschickt hätte. Ich bremste mich, weil ich ihm nicht wehtun wollte und weil ich wußte, daß ich zwar nicht umhin konnte, ihn auf sportlichem Gebiet zu enttäuschen, daß ich ihn aber nicht auf allen Gebieten zu enttäuschen brauchte. Wirklich gestört hatte ihn ja nicht das Yep. Es war mein Lewisham-Akzent gewesen, der ihm plötzlich zu schaffen gemacht hatte. Für diejenigen, die im damaligen England von ihrem Grips lebten, war ein feines Gehör für Sprache unerläßlich. Ebenfalls unerläßlich waren gute Tischmanieren und nicht mit offenem Mund zu kauen.
Für Sprache war mein Gehör ganz passabel. Für Musik hatte ich ein Gehör, aber kein Talent.
Als Klavierschüler am Konservatorium Blackheath schaffte ich zwei Prüfungen, aber Spaß hat es mir nicht gemacht. Einmal ging mir der Prüfer auf die Nerven, ein dicker Mann, der auf einem aufblasbaren Kissen saß, das eine kleine undichte Stelle hatte und deswegen andauernd zischte, während ich eine Etüde von Burgmüller spielte. Beatrice Howell, meine Lehrerin, wollte mir nicht glauben, als ich ihr von dem Rissen erzählte. Ich hätte wohl phantasiert. Wenn ein Prüfer ein solches Kissen benutzte, sagte sie, dann würde es bestimmt nicht zischen. Ich sollte keine Märchen erzählen.
In ihrem Unterrichtszimmer gab es eine Kollektion von kleinen Keramikbüsten der Komponisten. Sie befand sich auf einem Bücherregal, in dem die gebundenen deutschen und französischen Editionen ihrer Werke standen. Die ältesten und wertvollsten dieser Büsten waren Beethoven, Mozart, Chopin, Schubert und Schumann. Von ihnen sprach sie immer nur in Verbindung mit dem Adjektiv »arm«. Es war stets der arme Beethoven oder der arme Schumann. Ich glaubte sie verstanden zu haben. Ich hatte all ihre traurigen Krankengeschichten nachgeschlagen – Taubheit, Lungenentzündung, TB, Armut, ein gebrochenes Herz, ein gebrochener Ringfinger, geistige Umnachtung und so weiter –, so daß ich eines Tages, als sie auf den armen Mendelssohn zu sprechen kam, glaubte widersprechen zu müssen.
»Mendelssohn war aber nicht arm, Miss Howell! Ich habe im Lexikon nachgeschlagen. Er war reich und glücklich und berühmt und starb jung.«
Sie lächelte mich unendlich traurig an. »Alle Komponisten sind arm, wenn sie schlecht gespielt werden. Und wenn sie nicht einmal so gespielt werden, wie es in den Noten steht, dann sind sie noch ärmer. Sie drehen sich im Grabe um!«
Dies war eine Anspielung darauf, daß ich es mir zur Gewohnheit gemacht hatte, bestimmte Stellen anders spielen zu wollen. »Finden Sie nicht, Miss Howell!«, konnte ich etwa sagen, »daß ein Fis hier viel origineller klingen würde?«
Miss Howell pflegte dann tief zu atmen. »Es würde anders, aber bestimmt nicht origineller klingen. Wenn der arme Mendelssohn hier ein Fis gespielt haben wollte, dann hätte er es so notiert. Aber hier« – sie machte einen dicken Kreis mit dem Bleistift darum – »will er ein F haben. Wir alle möchten, daß Musik so gespielt wird, wie sie notiert ist, und darauf bestehen auch die Prüfer. Du wirst keinen guten Eindruck machen, wenn du die falschen Noten spielst.«
In jener Zeit standen Klavierlehrer in dem Ruf, ihre Schüler grausam zu behandeln, mit einem Stöckchen hinter ihnen zu stehen und ihnen, wenn sie falsch spielten, eins auf die Handgelenke zu geben. Am Konservatorium Blackheath kam so etwas nicht vor. Obwohl ich Miss Howell nach Leibeskräften provoziert habe, wurde ich allenfalls mit einem Seufzer bestraft.
In der Schule herrschten andere Verhältnisse. Aus dem Tugendbold von der Sandhurst Road war der Lausejunge von Lewisham Hill geworden. Nach anfänglicher Verlegenheit gewöhnte ich mich bald daran, verprügelt zu werden. Die Verlegenheit kam zu Hause auf. Bis zur Pubertät waren Mutter oder das Hausmädchen Susan immer dabei, wenn wir ein Bad nahmen, um aufzupassen, daß Warmwasser und Seife nicht verschwendet wurden. Als meine Mutter zum ersten Mal die Striemen auf meinem Po sah, schimpfte sie.
»Was hast du denn
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