Ambler by Ambler
freundlicher Mann, der die gleichen runden Schultern hatte wie sein Sohn. Mrs. Sims war vor ihrer Heirat Lehrerin gewesen. Mein Freund Sims (wir redeten einander stets mit Nachnamen an oder verwendeten den Pennälerausdruck »Mann«) war ihr einziges Kind, und sie waren ganz vernarrt in ihn. In der Schule war er freundlich und fleißig. Zu Hause war er ein Tyrann. »Verzogen«, sagte meine Mutter. Sie irrte sich. Er wurde verwöhnt, und er war es wert. Natürlich beneidete ich ihn.
Die Sims’ hatten ein altes Haus mit mehr Zimmern, als sie eigentlich benötigten. Das war auch ganz gut so. Sims hatte beschlossen, Universalgelehrter zu werden. Eines der überzähligen Zimmer machte er zu seiner Werkstatt. Ich war dabei, als die Drehbank geliefert wurde. Es war eine 3 ½ Zoll Drummond mit Vorgelege, deren Installation von Sims sen. persönlich beaufsichtigt wurde. Auch an diesem Tag habe ich mich dort sehr wohl gefühlt. In dem überzähligen Zimmer standen Bücherregale voller Bücher, die auch dann nicht verschwanden, nachdem es eine Werkstatt geworden war. Es gab jede Menge Romane, meistens in Leinenausgaben, sowie Klassiker in der Everyman-Taschenbuchedition. Auch die Schulbücher von Mr. und Mrs. Sims befanden sich dort, darunter Newths Inorganic Chemistry in der Ausgabe, die auch ich besaß.
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wer von uns den Vorschlag machte, wir könnten doch, unter Anleitung von Newth, Chemie studieren, aber ich weiß noch, wie es dazu kam. Wir hatten angefangen, Samstagabends ins Kino zu gehen, und einer der Filme, die wir in der Bruchbude von Lee Green sahen und der uns sehr beeindruckte, war Dr. Jekyll und Mr. Hyde mit John Barrymore. Wenn uns etwas sehr beeindruckte, hatten wir natürlich immer etwas daran auszusetzen. Wir fanden, daß die Geräte in Dr. Jekylls altmodischem Laboratorium absolut unglaubwürdige Requisiten waren und vermutlich von jemand entworfen waren, für den Chemie bloß eine übelriechende Angelegenheit war. An unserer Schule gab es zu viele von diesen Burschen. Als Mr. Kelland, der Chemielehrer, aus dem Krieg zurückgekehrt war, wurden die Laboratorien zwar wieder in Betrieb genommen, doch sie waren viel zu klein, um dort mehr als nur die Grundbegriffe der Chemie vermitteln zu können. Überdies waren »Der Vogel« und sein unglücklicher Nachfolger Altsprachler. Zu den Hauptfächern zählte Religion, aber nicht Biologie. Keines der naturwissenschaftlichen Fächer war Prüfungsfach, wie konnten wir da hoffen, die Anerkennung von Männern wie Holmes oder Professor Van Dusen zu gewinnen!
Einige Tage später requirierte Sims ohne viel Federlesens eine Hälfte der großen Küche, damit wir sie als Laboratorium verwenden konnten. Zu meiner Überraschung willigte seine Mutter ein. Am Samstag darauf begannen wir, uns von ganz vorn durch die anorganische Chemie zu arbeiten. Dabei machten wir grobe Notizen, die wir später, einer Empfehlung von Mr. Kelland folgend, säuberlich in spezielle Hefte übertrugen. Die benötigten Reagenzien besorgten wir uns bei einem hilfsbereiten Apotheker in der Lee High Road, der unser Projekt zunächst leicht amüsiert, aber dann durchaus interessiert verfolgte. Die gefährlicheren Substanzen füllte er in blaue Giftflaschen, und Filterpapier und Destillierkolben oder andere Dinge, die wir selber nicht herstellen konnten, überließ er uns zu Sonderpreisen. Nur in einem Punkt konnten wir uns nicht einigen. In einem unserer Lehrbücher (nicht Newth) stand ein Satz, den wir nicht glauben wollten: »Lithium, ein Metall, ist der leichteste bekannte Körper.« Wir beschlossen, bei dem Apotheker ein Gramm Lithium zu kaufen, um das spezifische Gewicht berechnen zu können. Er war nicht imstande, es uns zu besorgen. Wenn er erklärt hätte, daß Lithium, wie Natrium, eine besonders vorsichtige Behandlung erfordere, in Petroleum schwimmend aufbewahrt und vor Luftfeuchtigkeit geschützt werden müsse – wir hätten es verstanden. Wenn er gesagt hätte, daß das Zeug beim Großhandel nicht vorrätig sei, weil es von Ärzten nicht verwendet werde, dann hätten wir ihm geglaubt. statt dessen offerierte er uns ein weißes Pulver, von dem er sagte, es sei Lithiumoxyd, und verlangte dafür neun Pence. Wir wiesen das weiße Pulver hochnäsig zurück. Das hätten wir niemals bestellt. An diesem Tag hätten wir ja auch keine neun Pence gehabt.
Geldsorgen und Pubertät traten zusammen in mein Leben. Lüstling wurde ich etwa zu der gleichen Zeit, in
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