Ambler by Ambler
in einer klaren Nacht emporschauen und die Sterne sehen konnte.
Obwohl ich mehrmals darum bat, das Waterloo besichtigen zu dürfen, habe ich es irgendwie nie geschafft. Direkt verboten hat man es mir zwar nicht, doch im Kabelwerk dachte man wohl, ich sollte meine Zeit nicht mit der Erforschung einer Grube vergeuden, in der so wenig Elektrizität verwendet wurde. Modernere Gruben wie das Cannop, das soeben große Mengen unseres teuersten dreiadrigen Panzerkabels gekauft hatte, seien für meine Moral und meine Aufstiegschancen bestimmt besser. Im Cannop, so hieß es, sei man mit der Elektrifizierung schon weit vorangekommen, habe sie möglicherweise schon völlig abgeschlossen. Dort erweise sich, was mit wirklich modernen Methoden gemacht werden könne.
Denjenigen zufolge, die dort arbeiteten, war es die tiefste Grube in ganz England. Und wenn man im Hauptförderkorb hinabfuhr, kam es einem auch so vor. Man hatte das Gefühl, daß einem der Boden unter den Füßen wegsackte, wenn man sich nicht richtig festhielt. Doch das war erst der Anfang der Reise. Von den Hauptförderstrecken, die von der Schachtsohle strahlenförmig ausgingen, hatten einige Männer noch einmal einen Weg von einer Stunde oder mehr zurückzulegen, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Mehrere ältere Nebenstrecken, sogenannte »Taschen«, gingen noch weiter, kilometerlang, mit einer Steigung von 30 % und mehr. Die Hunde wurden mit Hilfe von elektrisch getriebenen Stahltrossen bis zu den Hauptförderstrecken heraufgezogen. Die Trossen schlugen manchmal gefährlich aus und konnten, wenn man nicht aufpaßte, einem den Fuß abtrennen. Früher waren die Trossen, vermutlich weniger effizient, manuell betrieben worden. Aber ich erkundigte mich nicht danach. Der Angestellte, der mir die neueste Technik vorführte, war sichtlich begeistert.
In den meisten Flözen im Forest of Dean gab es keine Probleme mit Methangas, doch die tiefergelegenen hatten meistens Probleme mit der Entwässerung. Die Hauptförderstrecken einer Zeche wie Cannop konnten so sicher und ungefährlich aussehen wie ein Londoner U-Bahn-Tunnel, mit Starkstromkabeln, die über Aufhängevorrichtungen an den Wänden verlegt waren, und mit Stahlschienen unter den Füßen. Doch hinter den Türen zu den Entlüftungs- und Entwässerungskanälen sahen die Dinge ganz anders aus. Einmal wurde für mich eine Führung durch diese andere Unterwelt veranstaltet. Es waren größtenteils stillgelegte Förderstrecken, die nie höher als anderthalb Meter waren, meistens weniger. Durch ihre Verwendung als Abwasserkanal hatte sich die Höhe noch weiter verringert. Man schlurfte vornübergebeugt entlang, den Kopf praktisch auf den Knien, während einem das Wasser in den Nacken tropfte. Sieben bis zehn Zentimeter unter den Holzplanken, über die man voranschlitterte, schoß donnerndes Wasser dahin. Es mochte aus einer unterirdischen Quelle kommen, vom Regen des letzten Monats, von einer Kreiselpumpe irgendwo weiter unten, oder es kam von einem Wassertrommelgebläse weiter oben und brachte Sauerstoff mit sich. Irgendwann zeigte mir mein Führer eine mit Markierungen versehene Stange, die den dort gemessenen Wasserstand angab. Offensichtlich war dieses spezielle Teilstück des Lüftungssystems zuweilen überschwemmt und dann nicht mehr passierbar. Dies erklärte er mir indes nicht, um mir Angst einzuflößen, sondern um mich daran zu erinnern, welchem Druck unsere Kabel standhalten müßten. Er hatte auch ein paar knifflige Fragen an mich. Wie gründlich seien unsere Prüf- und Inspektionsverfahren? Wie lange würde ein dreiadriges Kabel mit juteumsponnener Asphaltisolierung dem Druck einer zwölf Zentimeter tiefen Wasserschicht standhalten? Nach welcher Zeit würde ein Bleimantel porös werden? Nach wieviel Jahren? Von welcher Qualität sei das Blei, das wir normalerweise verwendeten?
Im Kabelwerk lernte ich viele derartige Fragen zu beantworten und erfuhr auch ein wenig von den Schwierigkeiten und den Freuden desjenigen, der sich mit einem kleinen Industriebetrieb selbständig macht. In Ponders End war es eine Belegschaft von über zweitausend Arbeitern gewesen. Im Zweigwerk Lydbrook waren es damals knapp zweihundert. Das Kabelwerk war von einem Ortsansässigen aufgebaut worden, der seinen Lebensunterhalt ursprünglich mehr oder weniger allein mit einer kleinen Werkstatt verdient hatte, in der speziell legierte Drähte für Widerstände und Rheostaten und dergleichen hergestellt wurden. Er war ein kleiner
Weitere Kostenlose Bücher