Ambler by Ambler
anscheinend völlig erholt. Er besaß Selbstvertrauen und hatte sich wichtige Fertigkeiten angeeignet. Wir wußten das, weil er eine Woche zuvor während eines Prozesses im Old Bailey ausgesagt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn als Gutachter vorgeladen. Sein Spezialgebiet war die Bestimmung von nichtmetallischem Schrott. Dieser Auftritt hatte ihm sichtlich Spaß gemacht, und er sprach mit leichter Verachtung in der Stimme über die Ignoranz und Einfalt derjenigen, die ihn befragt hatten. Der größte Trottel von allen sei der Staatsanwalt gewesen.
In diese Zeit etwa dürften die Anfänge seiner erstaunlich langen Karriere als Betrüger fallen.
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A
ls der Werkdirektor von Bergbaugegend gesprochen hatte, war mir jene Landschaft mit Abraumhalden und Fördertürmen wieder eingefallen, die ich in Nordengland einmal vom Zug aus gesehen hatte. Von England kannte ich, außer London und Umgebung, nur wenig. Nach dem Krieg waren Freunde von uns, die Thompsons, nach Huddersfield gezogen, und ich hatte einen herrlichen Sommer lang bei ihnen gewohnt. Lou Thompson hatte nach seiner Entlassung aus der Armee die Idee gehabt, ein Transportunternehmen zu gründen und mit einem aus Armeebeständen billig aufgebauten Fahrzeugpark die Tuchindustriestädte um Huddersfield und Bradford untereinander zu verbinden. Vom Beifahrersitz eines Dennis-Dreitonners aus hatte ich zahlreiche viktorianische Fabrikanlagen und Arbeitersiedlungen gesehen, doch der einzige Förderturm, den ich jemals von nahem gesehen hatte, war in Kent gewesen.
Lydbrook liegt in einem der schönsten englischen Flußtäler, am Wye, am Rande des Forest of Dean. Das Kabelwerk, während des Kriegs errichtet, war ursprünglich als Standort für Latexschleudern und Litzenmaschinen gedacht, die aus den Vereinigten Staaten importiert worden waren. Es befand sich am Flußufer, etwa zwei Meilen vom Symonds-Yat-Felsen, einer bekannten Sehenswürdigkeit. Eine Fabrik an einen solchen Ort hinzustellen, war eine Schande. Heute kann ich das sagen, aber damals freute ich mich, in einer so lieblichen Umgebung zu arbeiten. Nach Ponders End und dem sumpfigen Lea war es eine willkommene Abwechslung.
Lydbrook selbst stellte eine ungewöhnliche Mischung von Sehenswürdigkeiten dar. Am unteren Ende der Hauptstraße, dort, wo sie auf die Straße zwischen Ross-on-Wye und Monmouth stieß, bildete der Fluß einen breiten, seichten Abschnitt, in dem das klare Wasser über Kiesel und flache, abgeschliffene Steine hinwegschoß. Auf einem Hügel am anderen Ufer erhob sich über gepflegter Parklandschaft eine mittelgroße Villa mit dem Namen Courtfield. Dem Besitzer des Anwesens gehörte auch der Lachsfang. Am Ufer, wo all die wilden Angler wohnten, gab es eine Gastwirtschaft. (›The Courtfield Arms‹) und die Bushaltestelle. Von dort zog sich die Hauptstraße steil bergan, und zu beiden Seiten zweigten schmale Wege ab, die zu katenartigen Häusern führten. In einem dieser Häuser hatte ich mich eingemietet. Damals waren die meisten Lydbrooker Familien irgendwie mit anderen Familien der Gegend verwandt. Meine Wirtin war wohl eine Schwägerin des Werkmeisters, der mein Mentor im Kabelwerk war. Er stammte aus Lidney, von jenseits des Forstes, und wohnte in einem Haus, das ein paar hundert Meter weiter oberhalb lag. Draußen vor den Häusern konnte man sie nachts, wenn auf den Straßen wenig Verkehr war, deutlich die Nachtschicht im Waterloo schieben hören.
Das Waterloo lag dort, wo die Straße ihren höchsten Punkt erreichte, am Hang auf der rechten Seite, und war, wie der Name schon andeutete, eine ziemlich alte Grube. Damals wurden dort drei Schichten gefahren. Die Gesellschaft, der die Grube gehörte, war klein und hatte zweifellos die Absicht, die letzte Tonne Kohle gehauen zu haben, bevor irgendeine idiotische Regierung auf den Gedanken kommen könnte, durch Rationalisierung oder Verstaatlichung dem Betrieb den Garaus zu machen. Auf meinem nächtlichen Heimweg blieb ich oft stehen und lauschte. Der Förderkran wurde mit Dampf getrieben und erzeugte, wenn er ein- oder ausgeschaltet wurde, ein schnelles, stammelndes Puff-Puff -P uff wie eine anfahrende Lokomotive. Dieses Geräusch schien sich bis in die kilometerlangen Stollen fortzusetzen, die angeblich tief unter dem Berghang verliefen, und manchmal war mir, als lauschte ich der Geschichte. Sicher war es nur Einbildung, das Echo wurde bestimmt von der Oberfläche des Tals zurückgeworfen. Trotzdem habe ich mich immer gefreut, wenn ich
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