Ambler by Ambler
verschifft wurde. Onkel Frank besaß natürlich keinen Computer, der ihm hätte helfen können, aber er vermochte erstaunlich viel der benötigten Informationen in seinem Gedächtnis zu speichern. Nun hatte er sein Gehalt ein wenig aufgebessert, indem er die Dokumente gefälscht und ein paar Menschen, die an diesen verwickelten Transaktionen beteiligt waren, gleichfalls manipuliert hatte. Er hatte es so eingerichtet, daß sich in jedem dieser langen, mit Schrott beladenen Güterzüge ein oder zwei Waggons mit Stahlbriketts oder nichtmetallischem Schrott befanden, die er in eigener Rechnung verkaufte. Aufgeflogen war das Ganze offenbar dadurch, daß eine der kleinen Schachfiguren, denen er immer Bargeld in die Hand gedrückt hatte, zuviel geredet hatte. Es handelte sich um einen Lagerverwalter irgendwo in Nordengland.
Man schätzte, daß Onkel Frank im Laufe von sechs oder sieben Jahren über eine Million Pfund Sterling gestohlen hatte.
»Ich weiß, er war Kriegsgefangener«, sagte meine Mutter, »aber ich möchte ihn nie wieder zu Gesicht bekommen. Armes Ding!«
Mit »armes Ding« war Onkel Franks Frau gemeint. Arm war wirklich die Bezeichnung. Ein Teil des gestohlenen Geldes mag für Seidenhemden und einen aufwendigen Lebensstil draufgegangen sein, doch das meiste war bei den Buchmachern gelandet. Onkel Frank war eine dieser Spielernaturen, die jedesmal, wenn sie verlieren, den Einsatz verdoppeln müssen.
Er bekam sieben Jahre, eine ganze Menge für einen nicht Vorbestraften, der kein Gewaltverbrechen begangen hat. Er brummte seine Strafe in Maidstone ab. Seiner ehemaligen Firma, deren Revisoren sich in den ersten beiden Jahren viel Zeit nahmen, Onkel Frank zu befragen, kam das ganz gelegen. Er und sein Gedächtnis kooperierten bereitwillig, und am Ende wurde bis zu einem gewissen Grade Licht in das Kuddelmuddel gebracht. Er war ein vorbildlicher Gefangener.
»Wenn er rauskommt, wird er wohl ein bißchen aufgepäppelt werden müssen«, sagte meine Mutter.
Meine Entwicklung als Bühnenautor war nur langsam vorangegangen. Mein Geschmack hatte sich verändert. Ich wollte nicht mehr jene Art von Stücken schreiben, die von William Archer gelobt wurden. Ich hatte eine Aufführung von The Green Goddess gesehen, einem seiner Stücke, und hatte es gräßlich gefunden. Eine Zeitlang war ich ein Verfechter des Theaters als Spiegel des Lebens. Obwohl ich Playmaking noch immer als verläßlichen Leitfaden betrachtete und durchaus für den Gedanken zu haben war, daß sich auf der Bühne »die innere Schönheit und der Sinn des Lebens« spiegeln müsse, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, daß das »totale Theater« von Gordon Craig etwas anderes bieten würde als ein nettes Bühnenbild. Ich fand, daß Wedekind und die deutschen Expressionisten die richtigen Vorstellungen hatten. Ihrer Sprache wollte ich mich fortan bedienen.
Soweit ich mich erinnere, war das einzig Brauchbare an meinem ersten Versuch, einem Stück à la Toller, die Handlung, und auch die hatte ich bestimmt irgendwo abgeschrieben. Hauptperson war ein Straßenprediger, der bei seiner Arbeit von seiner Frau unterstützt wird, die eine Prostituierte ist, was er aber nicht weiß. Seine Predigten handeln von der Gewißheit der Erlösung durch die Liebe. Als er die Wahrheit über seine Frau erfährt, wird er zum Mörder.
Wie entsetzlich das Stück war, stellte sich indes erst bei seiner Lesung heraus. Nach dem ersten Akt wollte ich mich unbedingt verdrücken, was aber nicht ging, da ich die Hauptrolle las. Drei von uns lasen, und sechs oder sieben waren unser »Publikum«. Sie sprachen eifrig ihren Gin-Tonics zu und sagten hinterher höfliche Dinge über das Stück. Vielleicht haben wir ganz gut gelesen, vielleicht waren die Drinks stärker als ich dachte. Anders kann ich mir ihre Höflichkeit nicht erklären. Ich habe, sicher psychologisch bedingt, auch vergessen, wo die Lesung stattfand und wer alles dabei war. Das finde ich schade; mir wäre lieb, wenn die Zuhörer von damals wüßten, daß zwar ihre Namen in Vergessenheit geraten sind, nicht aber ihre ermunternden Worte.
Mir ist gerade der Titel des Stücks eingefallen, und bei dem Gedanken daran stehen mir die Haare einzeln zu Berge. Es hieß White to Harvest . Etwas Biblisches natürlich, den pathetischen Predigten entnommen, die ich für meinen Helden geschrieben hatte. Zu den Dingen, die ich in der Ingenieurs-Bibliothek immerhin gelernt hatte, zählte, wie man mit einer Konkordanz umgeht.
Im
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