Ambler by Ambler
bißchen weithergeholt fand. Es war ziemlich unwahrscheinlich, daß sich in Positano etwas ändern würde. Ein paar Amerikaner hatten versucht, eine Villa dort zu bauen. Doch am Ende hatten sie und ihr Architekt auch nur ein Haus im Stil der Sarazenen des zehnten Jahrhunderts hingestellt, wie all die anderen auch. Nur die Kirche (barock, achtzehntes Jahrhundert) durfte ein wenig anders aussehen. Die Bauaufsichtsbehörde in Sorrent hat damals ihre Aufgabe noch ernst genommen.
Johns Freundlichkeit und seine feste Absicht, mich zu erziehen, kannten keine Grenzen. Damit ich sah, welchen Lebensstil die etwas Wohlhabenderen in den alten Häusern weiter oben pflegten, nahm er mich mit zum Lunch bei »Papa« Pariso, einem schlitzohrigen Alten mit flinken Händen, der immer eine Skandalgeschichte aus dem Ort zu erzählen wußte. »Hat John dir schon von unserem Pfarrer erzählt, der von einem unserer Kutschpferde nackt im Trinkbecken der Kirche überrascht wurde? Nein? Also …« An das Mittagessen erinnere ich mich hauptsächlich wegen eines Rote-Bete-Salats mit Kümmel. Ich wußte, ich würde South Winds noch einmal zu lesen haben.
Wir fuhren nach Capri, wo die Kanalisation schon längst unterirdisch verlegt war, und nach Ravello, wo John die Anbringung eines Buntglasfensters überwachte, das er für eine Klosterkapelle gestaltet hatte. Es war ein rundes Fenster an der Schmalseite, das sich für ein vortizistisches Design sehr gut eignete. Die Patres waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Ihre Zufriedenheit äußerte sich darin, daß sie uns zuviel Wein zu trinken gaben. Es sei ihr eigener Wein, sagten sie, vom eigenen Weinberg, und die Keller seien voll davon. Sie stellten uns Zellen, zur Verfügung, in denen wir ein Mittagsschläfchen hielten, doch als wir später den steilen Pfad zur Bushaltestelle in Ravello hinunterstiegen, waren wir noch immer etwas unsicher auf den Beinen.
Es wurde Zeit, an die Abreise zu denken. Vorher verbrachten wir aber noch eine Nacht draußen bei den Fischern.
Die Boote fuhren immer bei Sonnenuntergang los. Keines war besonders lang; meistens waren es breite, ungedeckte Einmaster mit Lateinsegel. Einige verfügten über Hilfsmotoren. Alle waren mit starken Azetylenlampen ausgestattet, die seitlich übers Heck gehängt wurden, bevor es mit dem Fang losging. Das Meer an diesem Küstenabschnitt ist sehr tief, und das Licht lockte die Tintenfische an. Sie stiegen aus den tiefsten Tiefen in höhere Lagen empor, wo man mächtige, mit reichlich frischen Sardinen versehene Sechs-Punkt-Haken auslegen konnte. Von Passagieren wie uns, freundlichen, aber nichtzahlenden Gästen, erwartete man, sich nützlich zu machen, indem man zusätzliche Schnüre hielt, sobald das Fanggebiet vor Capri erreicht war.
Die Schnüre waren ungeheuer lange Hanfleinen, und die Technik, sie langsam laufen zu lassen, den mit Köder versehenen Haken in ständiger Bewegung zu halten und dann den Fang heraufzuziehen, erwies sich als ermüdend. Das Einholen des Fangs erforderte große Umsicht. In dem Moment, wenn ein Tintenfisch zum ersten Mal hochgezogen wurde, verspritzte er einen bräunlichen Tintenstrahl in hohem Bogen in die Luft. Die Tinte traf meistens das Segel, das an diese Art Behandlung schon gewöhnt war. Der Fischer ließ den Fisch dann nochmal kurz in das Wasser zurückfallen, bevor er ihn wieder hochzog. Beim zweiten Mal war der Tintenstrahl schon etwas dünner, beim dritten Mal war es klares Meerwasser. Der Fisch wurde dann an Bord geholt, vom Haken genommen und auf Deck liegengelassen. Dort gab er dann die ganze Nacht hindurch immer wieder seufzende Geräusche von sich.
Zum Abendessen hatten wir kalte Spaghetti Bolognese und mehrere Flaschen Rotwein dabei. Weder das Liegen auf den harten Planken noch das Seufzen der Fische konnte verhindern, daß wir bald danach einschliefen. Als ich mich in den frühen Morgenstunden aber aufrichtete, um einen Krampf loszuwerden, bot sich mir ein sehr merkwürdiger Anblick. Über die gesamte Meeresfläche hatte sich eine Nebeldecke gelegt, die ungefähr bis an die Schandeckel der Boote reichte. Es sah aus, als schwämmen wir auf einer riesigen Wolke. Zwei Meilen entfernt funkelten die Hecklichter der Boote aus Amalfi durch den Nebel. Alle Geräusche waren gedämpft, und das einzige, was ich ganz deutlich hören konnte, war das Seufzen der Tintenfische. Es war, als hätten wir Geister geladen. Den eidetischen Visionen eines William Blake hatte ich nie ganz getraut, und die
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