Ambler by Ambler
Fensterputzer und Botenjungen bei ihren Tätigkeiten, die die Straße in einen andersartigen, unbekannten, feindlichen Ort verwandelten. Ich kam mir dort als Fremder vor, als Untermieter ohne Arbeit. Zum Lunch ging ich in ein Feinkostgeschäft in der Moreton Street, gerade um die Ecke. Der Mann dort, der ausgezeichnete Blutwurst hatte, kannte mich schon, aber selbst er guckte mich komisch an, wenn ich dort am hellichten Tag aufkreuzte. »Keine Arbeit mehr?« fragte er mich einmal. Es klang ganz freundlich. Vielleicht wollte er mir ja anbieten, daß ich bei ihm anschreiben lassen könnte. Doch als ich versuchte, ihm zu erklären, daß ich nunmehr freier Schriftsteller sei, nickte er bloß vage. Er glaubte mir nicht wirklich.
Immerhin etwas Gutes passierte. Ich war zum Abendessen bei Alan und Felice Harvey gewesen, die gegenüber am St. George’s Square wohnten, und fand bei meiner Rückkehr ein Telegramm vor. Es war von Curtis Brown und besagte, daß der ›Daily Express‹ Nachruf auf einen Spion als Fortsetzungsroman bringen und mir dafür einhundertfünfunddreißig Pfund zahlen wollte.
Das war Reichtum. Es bedeutete, daß ich hin und wieder zweiter Klasse reisen konnte und nicht immer nur dritter. Ich hatte natürlich Glück, auch mit meinem Agenten. Heute weiß ich, daß es für Thrillerautoren oder deren Verleger nicht die günstigste Zeit war. Es war damals üblich, derartige Bücher nur im Frühjahr oder im Herbst herauszubringen. Üblich war es inzwischen auch geworden, daß die Achsenmächte ihre unheilvollen Schritte, die schließlich zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führten, immer in genau diesen Jahreszeiten unternahmen. Im März 1938 , als die Vorbestellungen für Nachruf auf einen Spion liefen, wurde Österreich von Hitler überfallen und annektiert. Unter derartigen Umständen mußte ein Thriller, dessen Hauptperson ein Flüchtling war, zwangsläufig an Interesse verlieren.
Onkel Frank zeigte sich von den Nazis nicht sonderlich beeindruckt. Was immer die Deutschen taten, nichts würde ihn je überraschen können. Das Gefängnis hatte ihn anscheinend nicht sehr verändert. Meine Mutter berichtete von keinerlei Alpträumen. Er hatte sich ein paar Ausdrücke aus der Knastsprache angewöhnt, die ich sorgfältig memorierte, um sie irgendwann einmal vielleicht verwenden zu können. Der alte Zuchthäuslerspruch »Schmeckt nicht nach gar nichts« fiel mir auf, weil er interessant und total sinnlos war. Ich benutzte ihn später, und nicht bloß einmal. Onkel Frank benutzte ihn andauernd, im Zusammenhang mit aktiver und passiver Bestechung.
Er inspizierte Moreton Place nachdenklich und schien von dem Bidet angetan zu sein. Ich zeigte ihm das Mietbuch und erzählte ihm von den Leuten im Parterre, die in einer Brauerei arbeiteten und fähig waren, das Gemeinschaftsklo samstagnachts in Beschlag zu nehmen.
»Wann geht’s denn los?« fragte er.
»Donnerstag nachmittag. Ich nehme die Nachtfähre Newhaven-Dieppe. Einverstanden?«
»Ich werd’ hier sein.«
Er kam um zwei Uhr nachmittags, nicht direkt betrunken, aber doch ein wenig unsicher auf den Beinen. Ein Teil der Unsicherheit hatte bestimmt damit zu tun, daß er auf seinen Schultern einen riesigen Hutständer trug, der aus Geweihen gemacht war.
»Hab’s für fünfundzwanzig Shilling bei einer Versteigerung bekommen«, erklärte er.
»Aber wofür, Onkel Frank? Du hast doch nur einen Hut!«
»Das hier sind tolle Geweihe. Ich werde keinen Hut daran aufhängen, mein Lieber. Abgesehen davon fand ich, daß die Wohnung ein bißchen freundlicher aussehen sollte.«
Er hatte recht, gewiß. Ich hatte die Gavarni-Drucke entfernt und sie an einem sicheren Ort deponiert. Der Hutständer war aber wirklich gräßlich. Es war offensichtlich Zeit, zu gehen. Das Zimmer würde ich sowieso nie mehr sehen.
Als ich ging, versuchte er gerade, sich darüber klar zu werden, an welcher Stelle der Wand er den Hutständer anbringen wollte.
8
D
as Pfund war damals achtzig Franc wert, und ich kannte ein Hotel in der Nähe der Sorbonne, wo man ein Zimmer für zehn Franc die Nacht bekommen konnte. Aber in Paris wollte ich noch nicht bleiben. Weiter unten im Süden würde ich bestimmt besser arbeiten können. Ich hatte gehört, daß ein längerer Aufenthalt außerhalb der Saison am billigsten in einem der kleinen Wintersportorte war. Offenbar sah man sich nach den kleinen Pensionen um, in denen man unter einem Dach wohnte mit den Besitzern, die es sich nicht leisten konnten,
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