Ambler-Warnung
beinahe zu erwarten, dass diejenigen, die sich durch einen politischen Reformer bedroht fühlten, ihn durch Verleumdungen diskreditieren wollten. Unerwartet, ja geradezu unerhört war etwas anderes. Und zwar, dass die Experten der PSU ihre Analyse verbockt hatte.
Er spürte einen Zorn, der so heiß und gefährlich war wie kochende Lava. Der andere in Gefahr bringen würde. Der, wie er undeutlich ahnte, ihn selbst in Gefahr bringen würde.
Als Ambler erwachte, fühlte er sich, falls das überhaupt möglich war, noch weniger ausgeruht als am Abend zuvor. Und
das lag nicht an dem Lärm der Flugzeuge, die auf dem nahen Flughafen starteten und landeten. Er spürte, dass er kurz davor gestanden hatte, etwas zu begreifen. Etwas sehr Wichtiges. Der Gedanke schwebte in seinem Geist wie Morgennebel und löste sich dann genauso schnell wieder auf. Seine Augen brannten, und sein Kopf pochte, als sei er verkatert, obwohl er nichts getrunken hatte.
Laurel war bereits angekleidet; sie trug Kakihosen und eine leicht plissierte, hellblaue Bluse. Er schielte auf den Wecker auf dem Nachttisch und sah beruhigt, dass er nicht verschlafen hatte.
»Du hast noch reichlich Zeit. Wir werden unseren Flug nicht verpassen«, sagte sie, als er schließlich ins Badezimmer tappte.
»Unseren Flug?«
»Ich komme mit.«
»Das wäre unverantwortlich«, wehrte er ab. »Ich weiß nicht, welche Gefahren dort auf mich lauern. Dem kann ich dich nicht aus...«
»Ich weiß, dass es gefährlich wird«, schnitt ihm Laurel das Wort ab. »Deshalb brauche ich dich. Und deshalb brauchst du mich. Ich kann dir helfen, dir den Rücken freihalten. Vier Augen sehen besser als zwei.«
»Das kommt nicht infrage, Laurel.«
»Ich bin ein Amateur, das weiß ich. Aber genau danach werden sie nicht suchen. Außerdem hast du keine Angst vor ihnen. Du hast Angst vor dir selbst, und dabei kann ich dir vielleicht helfen. Es dir leichter machen.«
»Wie soll ich weiterleben, wenn dir da drüben etwas zustößt?«
»Wie würdest du dich fühlen, wenn mir hier etwas zustößt und du nicht da bist?«
Ambler sah sie scharf an. »Ich habe dich da hineingezogen«, sagte er mit erneutem Entsetzen. Die Frage, die in ihm brannte, behielt er für sich: Wann wird das alles enden?
Laurel sagte leise, aber bestimmt: »Lass mich nicht allein, bitte!«
Ambler umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen. Ihr Vorschlag war völlig verrückt. Aber wahrscheinlich würde sie ihn damit vor einer anderen Art Wahnsinn retten. Und sie hatte recht: Wenn er auf einem anderen Kontinent war, konnte er sie kaum vor den Gefahren beschützen, die ihr hier drohten.
»Wenn dir etwas zustoßen sollte ...«, begann er. Er musste den Satz nicht vollenden.
Sie sah ihn mit klarem, furchtlosem Blick an. »Ich kaufe mir am Flughafen eine Zahnbürste«, sagte sie.
Kapitel fünfzehn
Paris
Als der Zug in die Gare du Nord einfuhr, wurde die Wachsamkeit, die wie elektrischer Strom durch Ambler pulsierte, durch eine Welle der Nostalgie gedämpft. Der typische Geruch des Bahnhofs – er ordnete jeder Stadt ganz spezielle Gerüche zu – versetzte ihn ohne Vorwarnung in die neun Monate zurück, die er in seiner Jugend hier verbracht hatte. Neun Monate, in denen er reifer geworden war als in den fünf Jahren zuvor. Er gab seine Koffer bei der Gepäckaufbewahrung ab und betrat die Stadt der Lichter durch die mächtigen Eingangstüren des Bahnhofs.
Laurel und er waren vorsichtshalber getrennt gereist. Er war als Robert Mulvaney nach Brüssel geflogen, die Papiere hatte ihm Fenton ausgehändigt. Von dort hatte er den Thalys-Zug genommen, der stündlich nach Paris fuhr. Laurel benutzte einen Pass, den er in der Tremont Avenue in der Bronx besorgt und eilig verändert hatte, um ihn seiner jetzigen Besitzerin anzupassen. Der Name Lourdes Esquivel passte zwar nicht perfekt zu der Amerikanerin mit den Bernsteinaugen, aber der Pass würde am überfüllten Flughafen genügen. Jetzt blickte Ambler auf die Uhr und bahnte sich einen Weg durch die Reisenden. Laurel saß in einer Wartezone, genau wie ausgemacht. Als sie ihn sah, leuchtete ihr Gesicht auf.
Ihm schwoll das Herz in der Brust. Man sah ihr die Müdigkeit und den Transatlantikflug an, aber auf ihn wirkte sie schöner als je zuvor.
Zusammen traten sie aus dem Bahnhof auf die Place Napoleon III. Laurel betrachtete fasziniert die prächtige Bahnhofsfassade mit den korinthischen Säulen.
»Diese neun Statuen repräsentieren die wichtigsten Städte
Weitere Kostenlose Bücher