Ambler-Warnung
schwachem grünem Tee über die Feinheiten von Maos Doktrin debattierten.
In den folgenden vier Tagen wurde Tarquins Team aufgelöst, und die Mitglieder reisten zu ihren nächsten Einsatzorten weiter. Tarquin blieb. Er hatte eine Mission und erfüllte sie mit kontrollierter Wut. Er wollte die Wahrheit ans Licht bringen. Die einzelnen Puzzleteile waren nicht schwer zu finden. Er raste von einem Machtzentrum Taiwans zum nächsten, und das ganze Land verschwamm zu einem Meer aus Pagoden, fein geschnitzten bemalten Tempeldächern und dicht bebauten Stadtlandschaften, in denen es vor Märkten und Geschäften nur so wimmelte. Aber hauptsächlich wimmelte es von Menschen, die ihre gesamte Familie mit dem Motorrad transportierten, sich in winzigen Autos und Bussen drängten, Betel kauten und blutig aussehenden Speichel auf die Gehwege spuckten. Er traf sich mit Kontaktpersonen im taiwanesischen Militär, die sich kaum Mühe gaben, ihre Freude über Leungs Tod zu verbergen. Er besuchte die Handlanger und Komplizen der korrupten Politiker, Höflinge und Geschäftsleute, die in Taiwan die Zügel in der Hand hielten. Manchmal lockte er durch gespieltes Mitgefühl Informationen aus ihnen heraus, manchmal auch durch pure Einschüchterung und eine Brutalität, die ihn selbst überraschte und erschreckte. Er kannte diese Typen genau. Sogar, wenn sie ihre Worte sorgfältig wählten, verrieten ihre Gesichter ihre wahren Motive ganz deutlich. Ja, er kannte diese Typen.
Und jetzt sollten sie ihn kennenlernen.
Am dritten Tag fuhr er mit dem Hochgeschwindigkeitszug nach Peitou, eine Stadt zehn Meilen nördlich von Taipeh. Der ehemalige Thermalkurort war zum schäbigen Rotlichtbezirk verkommen, dann jedoch gesäubert und saniert worden. Inzwischen war er eine Kombination aus beidem. Neben einem Teehaus und einer Jugendherberge fand er das »Museum der heißen Quellen«, ein luxuriöses Badehaus. Im vierten Stock fand er den dicklichen jungen Mann, nach dem er suchte. Es war der Neffe eines mächtigen Generals, der mit Drogenhandel ein Vermögen gemacht hatte. Der General hatte die Verschiffung von burmesischem Heroin nach Thailand und Taiwan und von dort aus nach Tokio, Honolulu und Los Angeles organisiert. Im vergangenen Jahr hatte der dickliche junge Mann beschlossen, für einen Sitz im Parlament zu kandidieren. Der Playboy kannte sich mit Cognacsorten zwar besser aus als mit den politischen Problemen seiner künftigen Wähler, aber es sah so aus, als sei ihm der Sitz sicher. Schließlich stand die regierende Partei, zu der auch sein Onkel gehörte, hinter ihm. Dann erfuhr er, dass Leung bereits Kontakt zu einem anderen Kandidaten für den Sitz aufgenommen hatte. Er schäumte vor Wut: Wenn Leung seinen Rivalen unterstützte, stand die politische Zukunft des Neffen auf dem Spiel. Und falls auch noch Leungs Antikorruptionskampagne landesweit Erfolg haben sollte – oder andere Regierungen zur Nachahmung anregen sollte -, würde das seinen Onkel in den Ruin treiben.
Der Mann lag bis zu den Brustwarzen in einem Bottich mit dampfendem Wasser und sah sich mit schläfrigem Blick eine Karaoke-Show an. Als Tarquin vollständig bekleidet auf ihn zustürmte und ein gezacktes Kampfmesser mit einer fünfzehn Zentimeter langen Titanklinge aus einer Kunststoffscheide
zog, wirkte er schon viel wacher. Richtig gesprächig wurde der Neffe dann, als Tarquin ihm ein paarmal die Kopfhaut angeritzt hatte und ihm das Blut aus dieser gefäßreichen Region über das Gesicht lief. Tarquin wusste, dass ein Mann vor Angst fast wahnsinnig wurde, wenn er nichts mehr sah, weil sein eigenes Blut ihm in die Augen lief.
Es war genauso, wie Tarquin vermutet hatte. Die »nachrichtendienstlichen Informationen« in dem Dossier hatten Leungs politische Rivalen fabriziert. Sie hatten gerissen auch einige Wahrheiten über andere Missetäter eingestreut, damit das Ganze plausibler wirkte. Aber dies stellte Tarquin vor ein noch viel größeres Rätsel. Wie hatte diese krude Machwerk den Weg in die Nachrichtenabteilung von Consular Operations gefunden? Wie hatte man die Experten von der Political Stabilization Unit dazu gebracht, dieses kunterbunte Lügenmärchen überhaupt ernst zu nehmen?
Solche Fallen waren im Nachrichtendienst nichts Außergewöhnliches. Die Feinde eines Mannes waren nur zu gern bereit, Lügen über ihn zu verbreiten, um ihn zu ruinieren. Aber solche Behauptungen mussten erst durch neutrale Parteien bestätigt werden, um glaubwürdig zu werden. Es war
Weitere Kostenlose Bücher