Ambler-Warnung
Gästeaufzügen vorbei um die Ecke zu einem riesigen Lastenaufzug. Die Kabine war nicht mit Teppich ausgelegt, sie standen auf Stahl mit Anti-Rutsch-Noppen. Im Erdgeschoss hielt der Aufzug bei einem Lagerraum, der zur Rückseite des Hotels lag. Um diese Uhrzeit war niemand hier. Ambler stieß eine breite Tür auf, und Laurel folgte ihm die Laderampe hinunter auf eine Seitenstraße.
Ein paar Minuten später saßen sie wieder in einem Taxi und fuhren den kurzen Weg zum Hotel Beaubourg an der Rue Simon le Franc. Das Hotel war nur einen Katzensprung vom Centre Pompidou entfernt. Es war wie geschaffen für Amerikaner, die sich für moderne Kunst interessierten, und Deschesnes’
Apartment lag gleich um die Ecke. Auch hier bekamen sie problemlos ein Zimmer – schließlich war es Januar –, und wieder einmal bezahlte Ambler mit Bargeld, den Dollars, die er dem Agenten in den Sourlands abgenommen hatte. Die Kreditkarte von Robert Mulvaney hätte wie eine Signalrakete gewirkt. Es war ein bescheidenes Hotel ohne Restaurant, es gab nur einen kleinen Frühstücksbereich im Keller. Aber das Zimmer war freundlich, mit alten Eichenbalken an der Decke, und im Badezimmer stand eine große Wanne mit Löwenfüßen. Er fühlte einen Anflug von Sicherheit, die Sicherheit der Anonymität. Und er merkte, dass Laurel sich ebenfalls wohlfühlte.
Sie brach das Schweigen als Erste: »Ich wollte die ganze Zeit fragen, was das eben sollte, aber ich glaube, ich weiß es schon.«
»Lass uns hoffen, dass es eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme war.«
»Ich habe das Gefühl, du verschweigst mir eine ganze Menge. Und dafür sollte ich dir wahrscheinlich dankbar sein.«
In kameradschaftlichem Schweigen richteten sie sich in dem Zimmer ein. Es war früher Abend, und der Tag war lang gewesen, aber Laurel wollte zum Abendessen ausgehen. Während sie duschte, heizte Ambler das kleine, vom Hotel gestellte Bügeleisen auf und laminierte sorgfältig ihr Passfoto in den Reisepass. Amerikanische Pässe waren nur deshalb so schwer zu fälschen, weil die Materialien, aus denen sie hergestellt wurden – das Papier, der Schutzfilm, der holografische Metallstreifen –, nur unter strengsten Kontrollen ausgegeben wurden. Wahrscheinlich wurde Fenton direkt von seinen Kollaborateuren in der Regierung beliefert.
Laurel kam aus dem Bad. Sie bedeckte ihre Blöße schüchtern mit einem Handtuch, und Ambler küsste sie zart auf den Hals.
»Lass uns nach dem Abendessen gleich zu Bett gehen. Morgen können wir in einem Café um die Ecke frühstücken. Der Mann, den ich suche, wohnt ganz in der Nähe.«
Sie drehte sich um und sah ihn an. Ambler merkte, dass sie ihn gern etwas gefragt hätte, was ihr auf der Seele lag. Er lächelte sie aufmunternd an. »Na los, frag schon. Hauptsache, du machst dir keine Sorgen mehr.«
»Du musstest Menschen töten, nicht wahr?«, fragte Laurel. »Als du für die Regierung gearbeitet hast, meine ich.«
Er nickte ernst. Sein Gesicht war zur Maske erstarrt.
»Ist das ... schwer?«
War es schwer, zu töten? Diese Frage hatte sich Ambler schon seit vielen Jahren nicht mehr gestellt. Aber ganz ähnliche Fragen verfolgten ihn immer noch. Welchen Preis zahlte man dafür, einen Menschen zu töten? Welchen Preis zahlte die menschliche Seele? Welchen Preis hatte er bezahlt? »Ich weiß nicht, was du von mir hören willst«, sagte er leise.
Laurel wirkte beschämt. »Es tut mir leid. Weißt du, ich musste mich manchmal um Patienten kümmern, die auf sonderbare Weise beschädigt waren. Weil sie anderen Menschen Schaden zugefügt hatten. Sie wirkten nicht zerbrechlich oder verwundbar – schließlich wurden sie psychologisch ausführlich getestet, bevor sie ihren Beruf ergreifen durften. Aber sie waren wie Porzellan mit einem haarfeinen Riss. Das härteste Material, das man sich vorstellen kann. Bis es plötzlich in Stücke zerbricht.«
»Also war Parrish Island eine – eine Art Schachtel für zerbrochene Keramiksoldaten?«
Sie antwortete nicht sofort. »Manchmal kam es mir so vor.«
»Gehörte ich auch dazu?«
»Du? Nein, zerbrochen warst du nicht. Angeschlagen vielleicht. Als hätten sie versucht, dich zu brechen. Aber du warst
einfach zu gesund. Es ist nur schwer in Worte zu fassen.« Sie sah ihm in die Augen. »Aber in deinem Beruf musstest du doch Dinge tun, die dir bestimmt nicht leichtgefallen sind.«
»Ich hatte bei Cons Ops einen Ausbilder, der immer sagte, es gebe zwei Welten«, begann er langsam und leise. »Zum
Weitere Kostenlose Bücher