Ambler-Warnung
einen die Welt der Geheimdienste und Spione. Eine chaotische, mörderische Welt voller Gauner und Schurken. Und langweilig – ödes, endloses Warten; detaillierte Pläne, die nie in die Tat umgesetzt werden; Fallen, die niemals zuschnappen. Aber auch wirklich brutal. Gerade, weil die Brutalität so leidenschaftslos ist.«
»Eine herzlose, kalte Welt.« Ihre Stimme schwankte.
»Und dann gibt es noch eine andere Welt, Laurel. Die normale Alltagswelt, in der die Menschen morgens aufstehen, fleißig arbeiten, auf eine Beförderung hoffen, Geburtstagsgeschenke für ihre Kinder kaufen und Billigvorwahlen vergleichen, damit sie sich das Ferngespräch mit ihrer Tochter im College leisten können. Die Welt, in der du im Supermarkt an den Früchten riechst, um herauszufinden, ob sie reif sind. Die Welt, in der du nach einem Fischrezept suchst, weil der Fisch im Sonderangebot war. Die Welt, in der du unbedingt pünktlich bei der Kommunion deines Enkels sein willst.« Er schwieg einen Moment. »Und manchmal überschneiden sich diese beiden Welten. Zum Beispiel, wenn ein Mann Technologien verkaufen will, mit denen man Hunderttausende oder Millionen von Menschen töten kann. Die Sicherheit der normalen Welt, der Welt der ganz normalen Menschen, wird nur bestehen, wenn man solche Männer daran hindert, ihre Pläne zu verwirklichen. Und manchmal muss man dafür zu außergewöhnlichen Mitteln greifen.«
»Außergewöhnliche Mittel«, sagte sie. »Wenn du es sagst, klingt es wie bittere Medizin.«
»Vielleicht ist es auch eine Art Medizin. Wir sind eher Chirurgen als Polizisten. Die Abteilung, für die ich gearbeitet habe, folgte einem simplen Credo: Wenn wir uns an die Regeln der Polizeiarbeit halten, dann verlieren wir an Boden. Und das können wir uns nicht leisten. Boden zu verlieren, bedeutet, den Krieg zu verlieren. Und es war ein Krieg. Unter der Oberfläche aller Großstädte der Erde – Moskau, Istanbul, Teheran, Seoul, Paris, London, Peking – tobte ein Krieg, jeden Tag wurden Schlachten geschlagen. Wenn alles nach Plan läuft, verbringen Menschen wie ich ihr ganzes Leben damit, für Menschen wie dich zu arbeiten. Wir sorgen dafür, dass dieser Kampf nicht an die Oberfläche dringt.« Ambler verstummte.
Es gab noch viele unbeantwortete Fragen, auf die er vielleicht nie eine Antwort finden würde. War Benoit Deschesnes ein Teil dieses Krieges? Würde es ihm gelingen, diesen Mann zu töten? Musste er ihn töten? Wenn Fentons Informationen korrekt waren, hatte Benoit Deschesnes nicht nur sein eigenes Land und die UNO verraten, sondern auch all jene Menschen, deren Leben dadurch in Gefahr gebracht wurde, dass ein irrwitziger Diktator plötzlich über Nuklearwaffen verfügte.
Laurel brach das Schweigen. »Und wenn nicht? Wenn nicht alles nach Plan läuft? Was passiert dann?«
»Dann wird aus dem >Großen Spiel< eben ein Spiel mit Menschenleben.«
»Glaubst du immer noch daran?«, bohrte Laurel weiter.
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll«, antwortete Ambler. »Im Moment fühle ich mich wie eine Zeichentrickfigur, die über eine Klippe gerannt ist. Wenn sie nicht in der Luft wie wild weiterrennt, dann fällt sie ins Bodenlose.«
»Du bist wütend«, sagte sie. »Und du fühlst dich verloren.«
Er nickte.
»So geht es mir auch«, sagte sie, und es war beinahe, als denke sie laut nach. »Aber ich spüre noch etwas anderes. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben ein wirkliches Ziel vor Augen. Nichts ergibt mehr einen Sinn, und doch fühle ich mich so, als würde absolut alles einen Sinn ergeben. Weil Sachen kaputtgegangen sind, die repariert werden müssen. Und wenn wir sie nicht reparieren, dann tut es keiner.« Sie brach ab. »Ach, hör nicht auf mich. Ich weiß gar nicht, was ich da rede.«
»Und ich weiß nicht, wer ich bin. Wir sind schon ein tolles Paar.« Er suchte ihren Blick, und sie lächelten sich zaghaft an.
»Renn bloß weiter«, sagte Laurel. »Schau nicht nach unten. Schau nach vorne. Du bist schließlich aus einem ganz bestimmten Grund hier. Vergiss das nicht.«
Aus einem ganz bestimmten Grund. Er betete, dass es der richtige war.
Ein wenig später beschlossen sie, frische Luft zu schnappen, und liefen zu dem offenen Platz vor dem Centre Pompidou. Laurel gefiel das Gebäude auf Anhieb: ein großes Glasmonster, dessen Innereien nach außen gekehrt waren. Leute eilten in der Winterkälte an ihnen vorbei, als sie darauf zugingen, und Laurel wirkte plötzlich heiter.
»Es sieht aus wie
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