Ambler-Warnung
Kompaktfernglas und fütterte gelegentlich die Tauben mit Krümeln. Das Gebäck hatte er bei einem Straßenverkäufer gekauft. Er wirkte träge und ziellos, registrierte aber ganz genau, wer die Place Fontenoy 7 betrat oder verließ.
Um dreizehn Uhr verließ Deschesnes mit schnellen Schritten das Gebäude, sein Gesichtsausdruck verriet, dass er einen Termin einhalten wollte. Wollte er in einem Restaurant in der Nähe zu Mittag essen? Nein, er ging die Treppe zur Metrostation École Militaire hinab. Das war ungewöhnlich. Als Generaldirektor einer mächtigen internationalen Behörde war Deschesnes gewöhnlich bestimmt von einer Entourage umgeben – ausländische Würdenträger, Angestellte, Kollegen, die einen Augenblick seiner Zeit beanspruchten – und ließ sich herumchauffieren. Seine Position in der UNO machte ihn schließlich zu einer wichtigen Persönlichkeit. Wenn ein so bedeutender Mann allein in der U-Bahn verschwand, dann hatte er zweifellos einen triftigen Grund für seine List.
Ambler vergegenwärtigte sich noch einmal das Gesicht des Mannes, den er heute Morgen gesehen hatte. Es hatte keine Anzeichen für besonderen Stress gegeben. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass er einem geheimen Treffen entgegenfieberte.
Ambler verfolgte den UNO-Beauftragten in Richtung Süden nach Boucicaut, wo er die Metro verließ und nach einem halben Häuserblock links in eine ruhige Wohnstraße einbog, die von klassischen Apartmenthäusern à la Parisien gesäumt wurde. Vor einem Haus in der Mitte der Straße blieb er stehen, zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, öffnete die Tür und verschwand im Inneren.
Aha. Eine vorgezogene Variante einer typisch französischen Liebesaffäre also, der cinq à sept oder Liebe am Nachmittag. Deschesnes hatte also zu einer List gegriffen, die für ihn bereits Routine war. Zweifellos eine Liebesaffäre, die schon lange Bestand hatte. Ambler stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite, zog sein Fernglas aus der Tasche und suchte die Fenster des grauen Gebäudes aus verwittertem Kalkstein ab. In einem Fenster im dritten Stock ging das Licht an. Dies verriet ihm, welches Apartment Deschesnes betreten hatte. Er warf einen Blick auf die Uhr. Zwanzig nach eins. Hinter den dünnen Vorhängen sah er Deschesnes’ Silhouette. Er war allein, seine Geliebte arbeitete vermutlich ebenfalls und war noch nicht angekommen. Vielleicht waren sie um halb zwei verabredet, und Deschesnes nutzte die Zeit bis dahin, um sich für sie schön zu machen. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Amblers Instinkt sagte ihm, dass er Deschesnes jetzt abfangen musste. Er tastete nach der kleinen Glock 26, die bequem und unsichtbar in ein Gürtelholster passte. An der Ecke war ihm ein Blumenhändler aufgefallen. Als er ein paar Minuten später auf die Klingel des Apartments im dritten Stock drückte, hielt er einen elegant verpackten Blumenstrauß in der Hand.
»Oui?« sagte eine Stimme einen Augenblick später. Sogar durch das Knistern des Lautsprechers hörte Ambler den Argwohn in Deschesnes’ Stimme.
»Livraison. «
»De quoi?«, fragte Deschesnes brüsk.
»De fleurs.«
»De qui?«
Ambler sprach bewusst gelangweilt und gleichgültig: »Monsieur. J’ai des fleurs pour Monsieur Benoît Deschesnes. Si vous n’en voulez pas ...«
»Non, non.« Der Summer ertönte. »Troisième étage. A droit.« Ambler war drinnen.
Das Haus war heruntergekommen, die Stufen in Jahrzehnten von harten Schuhsohlen abgenutzt. Das Treppengeländer war an einigen Stellen gebrochen. Ambler vermutete, dass weder Deschesnes noch seine Geliebte gern in so einem Haus gewohnt hätten, aber als Zweitwohnung war es ideal: Die Miete würde wahrscheinlich kein auffälliges Loch in ihr monatliches Haushaltsbudget reißen.
Als Deschesnes die Tür öffnete, sah er einen Mann in einem anständigen Wintermantel vor sich, der ihm mit der linken Hand einen Blumenstrauß entgegenhielt. Ambler sah nicht aus wie ein Lieferant, aber sein offenes, freundliches Lächeln beruhigte den Franzosen, und er öffnete die Tür weiter, um nach dem Strauß zu greifen.
Ambler ließ die Blumen fallen und stellte seinen rechten Fuß in den Türspalt. Die Glock 26 in seiner rechten Hand zielte genau auf den Brustkorb des Franzosen.
Deschesnes schrie auf, wich zurück und versuchte, die schwere Holztür zuzuschlagen. Gleichzeitig hechtete Ambler nach vorne und rammte seine Schulter gegen die Tür, die durch die Wucht vollständig aufflog.
Der Franzose wurde
Weitere Kostenlose Bücher