Ambler-Warnung
Informations-Partitionierung führt viel zu oft dazu, dass man im Dunkeln tappt und nur den eigenen Hintern findet.«
Der Revisor sah ihn herausfordernd an. »Wie gesagt, ich konnte nichts finden. Also wirst du für mich suchen. Ich will, dass du mit der Person sprichst, die die Political Stabilization Unit leitet. Ruf Undersecretary Ellen Whitfield an und frag sie direkt danach. Du bist ein ADDI, dir muss sie wohl Auskunft geben.«
»Transience«, wiederholte Caleb Norris. »Ich kriege allmählich ein ganz mieses Gefühl bei der ...« Er unterbrach sich, als er Castons Stirnrunzeln sah. »Ich meine, dass es zu viele Unbekannte in der Gleichung gibt. Du sagst doch immer, dass Risiko und Unsicherheit zwei verschiedene Dinge sind, oder?«
»Sicher. Risiko ist quantitativ bestimmbar. Unsicherheit nicht. Es ist eine Sache, wenn man weiß, dass man wenigstens eine Fünfzig-Prozent-Chance hat, dass etwas funktioniert. Und eine ganz andere, wenn man nicht mal weiß, wie die Chancen liegen.«
»Also geht es darum, ob man weiß, was man nicht weiß. Oder nicht weiß, was man nicht weiß.« Norris holte tief Luft und drehte sich zu Caston um. »Ich befürchte, dass wir uns in einer Situation befinden, in der wir nicht mal wissen, wie viel wir nicht wissen.«
Als Caston in sein Büro zurückkam, verspürte er ein wachsendes Gefühl der – nun, wahrscheinlich war es Unsicherheit. Adrian wirkte wie immer unpassend gut gelaunt, aber wenigstens Castons Schreibtisch war beruhigend ordentlich: Füller
und Bleistift lagen nebeneinander, berührten sich aber nicht. Die dünne Mappe lag genau fünf Zentimeter links davon, und sein Computerbildschirm stand exakt parallel zur Schreibtischkante.
Caston ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen. Seine Hände schwebten über der Tastatur. Risiko, Unsicherheit, Unwissenheit. Die Begriffe wucherten in seinem Verstand wie Algen am Meeresgrund.
»Adrian«, sagte er abrupt. »Ich habe eine Keramikurne, die mit schwarzen und weißen Bällen gefüllt ist.«
»Wirklich?« Der junge Mann sah sich vorsichtig in Castons Büro um.
»Stellen Sie sich vor, ich hätte eine«, grummelte der Revisor.
»Super.«
»Sie wissen, dass genau die Hälfte der Bälle schwarz, und die andere Hälfte weiß ist. Es sind tausend Bälle. Fünfhundert schwarze, fünfhundert weiße. Jetzt sollen Sie blind einen Ball ziehen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Ball schwarz ist?«
»Ah, fünfzig Prozent?«
»Jetzt stellen Sie sich vor, ich hätte noch eine weitere Urne, die in derselben Ballfabrik gefüllt wurde. Sie wissen, dass sie schwarze Bälle oder weiße Bälle oder beides enthält. Aber mehr wissen Sie nicht. Keine Ahnung, ob mehr weiße oder mehr schwarze Bälle in der Urne sind. Vielleicht sind alle Bälle schwarz. Oder alle weiß. Vielleicht sind es je gleich viele. Vielleicht ist nur ein Ball in der Urne, vielleicht sind es aber auch tausend. Sie wissen es einfach nicht.«
»Also weiß ich eigentlich gar nichts«, sagte Adrian. »Nur, dass schwarze und/oder weiße Bälle in der Urne sind. Richtig?«
»Richtig. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie einen schwarzen Ball herausziehen?«
Adrian legte seine glatte Stirn in Falten. »Woher soll ich wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist? Es könnten hundert Prozent sein oder null. Und alles, was dazwischenliegt.« Er fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes schwarzes Haar.
»Richtig. Aber wenn Sie eine Wahrscheinlichkeit bestimmen müssten? Stünden die Chancen zehn zu eins, dass der Ball schwarz ist? Hundert zu eins? Null zu eins? Was schätzen Sie?«
Der junge Mann zuckte mit den Schultern. »Ich müsste wieder eins zu eins sagen. Fünfzig Prozent.«
Caston nickte. »Das würde jeder Experte genauso machen. Man sollte sich in einer Situation, über die man fast nichts weiß, genauso verhalten wie in einer Situation, über die man fast alles weiß. In den zwanziger Jahren gab es einen Ökonomen namens Frank Knight, der zwischen Risiko und Unsicherheit streng unterschied. Er sagte, dass beim Risiko Zufälligkeiten durch Wahrscheinlichkeiten gezähmt werden. Bei Unsicherheit weiß man nicht mal, was die Wahrscheinlichkeiten sind. Aber ganz so einfach ist es nicht. Von Neumann und Morgenstern erkannten, dass sogar Unwissenheit quantitativ bestimmt wird. Sonst würden alle unsere Systeme zusammenbrechen.«
»Hat Ihr Vortrag etwas mit einer Urne zu tun, auf der >Tarquin< steht, Meister?« Adrians Lippen-Piercing glitzerte
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