Ambler-Warnung
Tresen.
»Sie wollten Arnie Cantor sprechen?«, fragte er. »Ich werde es ihm ausrichten. Darf ich um Ihren Namen bitten?«
Ambler verdrehte die Augen. »Wie wär’s, wenn Sie damit anfangen, ob er hier ist oder nicht?«
»Im Moment ist er leider nicht im Haus«, sagte der junge Mann vorsichtig. Sein Haar war kurz geschnitten, allerdings nicht militärisch kurz. Eine typische Bürofrisur. Außerdem bemühte er sich um den betont offenen Gesichtsausdruck, den neu eingestellte Geheimagenten besonders gern kultivierten.
»Also ist er mal wieder in Mailand und bügelt die Principessa , stimmt’s? Nein, antworten Sie lieber nicht.«
Der junge Mann musste gegen seinen Willen grinsen. »Der Spitzname ist mir neu«, murmelte er. Er schenkte Ambler einen ein bisschen zu einstudiert wirkenden Blick vollkommener Aufrichtigkeit. »Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Dafür sind Sie noch zu grün hinter den Ohren, verlassen Sie sich drauf«, erwiderte Ambler gereizt. »Ach, Scheiße. Ihr Typen seid doch echte Flaschen!«
»Verzeihung?«
»Sie werden später noch viel mehr um Verzeihung bitten.«
»Wenn Sie mir sagen würden, wer Sie sind ...«
»Sie wissen nicht, wer ich bin?«
»Leider nicht.«
»Dann sollten Sie daraus ableiten, dass Sie nicht wissen sollen, wer ich bin. Sie kommen mir vor, als seien Sie frisch aus dem Brutkasten entlaufen. Tun Sie sich einen Gefallen und rufen Sie einen Rettungsschwimmer, wenn Ihnen das Wasser bis zum Hals steht.«
Der Brutkasten war Cons-Ops-Slang für das spezielle Trainingsprogramm, das alle Geheimagenten durchlaufen mussten. Der junge Mann lächelte Ambler ein wenig schief an. »Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«
»Tja, Sie haben die Wahl. Sie können mir Arnie ans Telefon holen – ich gebe Ihnen Francescas Nummer, falls Sie sie nicht haben. Oder Sie können einen Schreibtischcowboy von oben aus dem Tiefschlaf wecken. Ich bringe Neuigkeiten, capito ? Und je schneller Sie mich von diesen Zivilisten hier wegschaffen, desto besser. Also los jetzt.« Ambler sah wieder auf die Uhr und gab sich immer ungeduldiger. »Ich habe nämlich verdammt wenig Zeit. Und wenn ihr Versager am Ball geblieben wärt, hätte ich meinen Arsch nicht hierher schleppen müssen.«
»Aber Sie müssen sich irgendwie identifizieren!?« Die Forderung war fast zur Frage geworden, der junge Agent war verunsichert und überfordert.
»Mann, jetzt haben Sie schon zum dritten Mal Scheiße gebaut. Ich kann mich so oft identifizieren, wie Sie wollen. Hab nämlich vier verschiedene Pässe dabei. Gerade eben habe ich Ihnen doch gesagt, dass ich direkt von einem Einsatz komme. Glauben Sie etwa, da nehme ich meinen richtigen Ausweis mit?« Ambler unterbrach seine Tirade und fuhr versöhnlicher fort: »Wissen Sie was, vergessen Sie’s. Ich war schließlich auch mal Anfänger. Ich hatte sogar genau Ihren Posten, ob Sie’s glauben oder nicht. Ich weiß noch, wie das ist.«
Er trat hinter den Tresen und drückte auf den Knopf des Fahrstuhls mit dem schmiedeeisernen Gitter, der sich dahinter befand.
»Moment mal, Sie dürfen da nicht allein hoch«, protestierte der junge Mann.
»Das will ich auch gar nicht«, erwiderte Ambler. »Sie werden mich nämlich begleiten.«
Der junge Mann blickte verwirrt drein, folgte Ambler aber gehorsam in den Fahrstuhl. Die Autorität und das Selbstbewusstsein in der Stimme des Fremden waren weit überzeugender gewesen als alle Zertifikate oder Ausweise der Welt.
Ambler wählte den dritten Stock. Obwohl der Aufzug mit seinem Schutzgitter und der Ledertür mit dem kleinen Fenster antik aussah, war die Mechanik nagelneu, genau wie Ambler erwartet hatte. Als der Fahrstuhl hielt, trat er durch die Türen in ein völlig anderes Gebäude.
Das ihm allerdings sehr bekannt vorkam. Es sah aus wie alle anderen Abteilungen im Nachrichtendienst des Außenministeriums. Reihenweise Schreibtische, Flachbildschirme, einheitliche Telefonanlagen. Reihenweise Papierkörbe, auf denen Aktenvernichter angebracht waren. Das war im US-Außenministerium seit der Besetzung der amerikanischen Botschaft von Teheran im Jahr 1979 Vorschrift. Vor allem aber kamen Ambler die Angestellten bekannt vor. Nicht die Individuen, aber der Typ. Weiße Hemden, Ripskrawatten: Sie sahen fast genauso aus wie IBM-Angestellte in den sechziger Jahren, der Blütezeit des amerikanischen Ingenieurs.
Ambler scannte den Raum und erkannte gleich, wer der dienstälteste Beamte war. Einen Moment später erhob sich der
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