Ambler-Warnung
Stimmen, die vorher nur weißes
Rauschen gewesen waren, wurden hörbar und verständlich. Die dringende Eile, die ihn angetrieben hatte, wurde lebendig, real, gegenwärtig.
Tarquin machte sich keine Illusionen über moralische Überlegenheit und bildete sich daher auch nicht ein, dass seine Hände bisher unbefleckt geblieben waren. Aber es machte ihn ungeheuer wütend, dass ein unfassbarer, unprofessioneller Fehler dafür gesorgt hatte, dass nun erneut Blut an ihnen klebte.
Transience musste es unbedingt erfahren.
Immer noch fassungslos und rasend vor Wut kehrte Tarquin in das Hauptquartier in Washington D.C. zurück. Ein Schlipsträger in einem Bürogebäude, einer von unzähligen. Er ging direkt zu seinem Boss, dem Undersecretary, der die Political Stabilization Unit leitete. Zu Transience.
Und dann wurde unverzeihlich, was vorher nur unfassbar gewesen war. Ambler kannte Undersecretary Ellen Whitfield, die gestrenge Leiterin der Political Stabilization Unit, sehr gut, vielleicht sogar zu gut. Sie war eine attraktive Frau mit starkem Kinn, einer kleinen geraden Nase und hohen Wangenknochen. Ihr kastanienbraunes Haar kontrastierte mit den dunkelblauen Augen, die sie gern mit einem Hauch Lidschatten betonte. Sie war attraktiv, und für Ambler war sie einmal beinahe schön gewesen. Vor vielen Jahren, als er am Anfang seiner Karriere gestanden und sie noch aktiv an Außeneinsätzen teilgenommen hatte. Ihre Affäre, die größtenteils in Wellblechhütten auf den Nördlichen Marianen stattgefunden hatte, dauerte nicht einmal einen Monat. Was in Saipan geschieht, hatte sie ihm mit einem Lächeln gesagt, bleibt auch in Saipan.
Sie bewarb sich bald danach um einen administrativen Posten im Außenministerium; er bereitete sich auf seinen
nächsten Einsatz vor – seine besonderen Fähigkeiten machten ihn im Außendienst unersetzlich, wie man ihm mitteilte. In den folgenden Jahren trennten sich ihre beruflichen Wege, kreuzten sich jedoch wieder. Bei Cons Ops wurde Ellen Whitfield bald für ihren herausragenden, gut organisierten Verstand geschätzt. Nur wenige Verwalter konnten die verschiedenen Nachrichtenebenen so gut verarbeiten und nach Prioritäten ordnen wie sie. Sie stellte sich auch als geschickte Büropolitikerin heraus – sie konnte ihren Vorgesetzten schmeicheln, ohne dass sie es merkten. Sie wusste, wie sie denjenigen ein Bein stellen konnte, die ihrem Aufstieg im Weg standen. Gleichfalls ohne dass sie es merkten. Ein Jahr nachdem sie ihre erste Stelle in D.C. angetreten hatte, wurde sie Assistentin des Direktors für East Asian and Pacific Affairs, zwei Jahre später wurde sie dem Vizedirektor von Consular Operations direkt unterstellt. Drei Jahre danach wurde sie zur Leiterin der Political Stabilization Unit befördert, die sie bald neu belebte und deren Zuständigkeitsbereich sie enorm erweiterte.
Bei Consular Operations selbst galt das Stab-Team schon vorher als sehr »proaktiv« – Kritiker verwendeten das Wort »waghalsig« – und nun verstärkte sich dieser Eindruck noch. Kritiker warfen den Stab-Agenten vor, dass sie gegen die Regeln verstießen, viel zu aggressiv vorgingen und die Gesetze des Völkerrechts so aufmerksam beachteten wie ein Bostoner Taxifahrer die Verkehrszeichen. Dass eine Frau, die so gefasst und kontrolliert wirkte wie Ellen Whitfield, diese Transformation bewirkt hatte, überraschte viele ihrer Kollegen. Nicht aber Ambler. Er wusste, dass sie eine wilde Seite hatte, eine Mischung aus Wildheit, Berechnung und Kühnheit. Vor langer Zeit, in einem schwülheißen August in Saipan, hatte ihn diese Wildheit erregt.
Aber Whitfield – die im zivilen Leben in den Rang eines Undersecretary aufgestiegen war – schien ihm aus dem Weg zu gehen. Manchmal fragte sich Ambler, ob ihre gemeinsame »Geschichte« ihr vielleicht unangenehm war. Aber zimperlich wirkte sie keineswegs, und es gab keine Anzeichen dafür, dass die Affäre für sie mehr gewesen war als ein angenehmer Zeitvertreib, der ihr einen langweiligen Einsatz versüßt hatte. Ein angenehmer Zeitvertreib, den sie auch beide leichten Herzens beendet hatten. Als Ambler zum vierten Mal mit der Entschuldigung abgewimmelt wurde, Undersecretary Whitfield sei »in einer Besprechung«, wusste er, dass sie ihn abblockte. Er hatte seinen Bericht über das Leung-Debakel bereits verfasst und abgeschickt. Jetzt musste sich Whitfield ihrer Verantwortung stellen. Ambler wollte von ihr hören, dass sie dieses katastrophale Versagen des
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