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Ambler-Warnung

Ambler-Warnung

Titel: Ambler-Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ludlum
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gesagt hatte. Der starke Akzent des Mannes ließ das Wort »Priorität« nämlich beinahe wie ein anderes, selten benutztes Mandarin-Wort klingen: »Spielzeug«.

Kapitel achtundzwanzig
    Der Cimetière du Père Lachaise war Anfang des neunzehnten Jahrhunderts auf dem alten Hügel Champ l’Évêque erbaut worden und nach Vater Lachaise, dem Beichtvater Ludwigs XVI., benannt. Nun ruhten hier viele Berühmtheiten – Colette, Jim Morrison, Marcel Proust, Oscar Wilde, Sarah Bernhardt, Edith Piaf, Chopin, Heinrich Heine, Balzac, Corot, Gertrude Stein, Modigliani, Stephane Grappelli, Delacroix, Isadora Duncan und noch viele andere. Die Gräber der Reichen und Schönen, dachte Ambler, als er durch das Tor trat.
    Der Friedhof war riesig – rund vierundvierzig Hektar – und von gepflasterten Fußwegen durchzogen. Besonders im Winter wirkte er wie ein Arboretum aus Stein.
    Ambler warf einen Blick auf die Uhr. Das Treffen war für zehn nach fünf geplant, und in Paris ging die Sonne in dieser Jahreszeit um ungefähr halb sechs unter. Es dämmerte bereits. Ambler erschauerte, nur teilweise wegen der Kälte.
    Man stimmt nie einem Treffpunkt zu, den die Gegenseite ausgewählt hat. Einfache Grundregel. Aber diesmal hatte er keine Wahl. Er durfte den Faden nicht loslassen.
    Laut Friedhofsplan war Père Lachaise in siebenundneunzig Abschnitte, quasi kleine Bezirke, eingeteilt. Aber die Hauptwege hatten Straßennamen, und er hatte genaue Anweisungen erhalten, welche er nehmen sollte. Ambler trug einen schwarzen Rucksack auf dem Rücken und ging gehorsam von der Avenue Circulaire, der Ringstraße, die am äußeren Rand des Friedhofs entlangführte, zur Avenue de la
Chapelle und bog nach links in die Avenue Feuillant ein. Durch die vielen Straßen und Pfade – die alle von Mausoleen und Grabsteinen gesäumt wurden, die wie Miniaturhäuser aussahen – wirkte der Friedhof wie eine kleine Stadt. Eine Stadt der Toten. Manche Gräber waren aus rotem Granit, aber die meisten bestanden aus graviertem Kalkstein, Travertin oder Marmor. Aus fahlen, leichenblassen Steinen. Die graue Dämmerung des frühen Abends verstärkte die Grabesstimmung noch.
    Er ging nicht sofort zum vereinbarten Treffpunkt, sondern lief die Pfade entlang, die um ihn herumführten. Die entlaubten Bäume boten wenig Deckung. Vielleicht hatte Fenton aber hinter den größeren Mausoleen oder Grabsteinen Wachposten stationiert. Vielleicht hatten sie sich auch einfach in Zivilkleidung unter die zahlreichen Touristen und Friedhofsbesucher gemischt.
    Ambler näherte sich einer Bank aus grün lackiertem Stahlrohr und legte mit einer lässigen, unauffälligen Geste seinen schwarzen Rucksack darunter ab. Er schlenderte weiter bis zu einem großen Steingrabmal schräg gegenüber. Von hier aus hatte er die Bank gut im Blick. Dann huschte er in einen Kiosk mit der Aufschrift WC , zog seine Jacke aus und warf ein Sweatshirt über. Er verließ das Häuschen, ging an der Rückseite des Kiosks zu dem drei Meter hohen Grabmal, das er sich ausgesucht hatte – hier ruhte ein gewisser Gabriel Lully –, und beobachtete die Bank, ohne selbst gesehen zu werden.
    Eine Minute später stolperte ein junger Mann in Jeans, brauner Lederjacke und schwarzem T-Shirt vorbei, ließ sich auf die Bank fallen und gähnte herzhaft. Nach ein paar Sekunden nahm er seine ziellose Wanderung wieder auf, aber Ambler sah, dass der Rucksack danach nicht mehr da war.
    Der junge Mann in der Lederjacke war ein Watcher und hatte genauso reagiert, wie Ambler es erwartet hatte. Allerdings enorm geschickt und ohne jede unnötige Bewegung. Man hatte Ambler dabei beobachtet, wie er den Rucksack zurückgelassen hatte. Um zu klären, was darin war, hatten sie einen Watcher losgeschickt.
    Der Rucksack enthielt einen Sack Vogelfutter. Ein Scherz, den nur ein Insider verstehen würde. Im Spionagejargon war Vogelfutter der Begriff für alle im Grund wertlosen Dinge, mit denen sich die Aufmerksamkeit feindlicher Agenten erregen ließ. Die Watcher würden sofort verstehen, dass er ihnen auf die Schliche gekommen war, wenn sie den Rucksack geöffnet und die Sonnenblumenkerne darin untersucht hatten.
    Ambler hingegen hatte einen Wachposten identifiziert – einen der Watcher kannte er jetzt. Er würde dem jungen Mann folgen. Vielleicht würde er ihn zu seinen Kollegen führen.
    Ambler trug jetzt Jeans, ein graues Sweatshirt und eine Hornbrille mit Fensterglas und lief einen weiteren Fußpfad entlang. Seine anderen Kleider

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