Ambler-Warnung
Norris«, sagte Brenda Wallenstein mit ihrem vertrauten Näseln. Sie war seit fünf Jahren Norris’ Sekretärin und glaubte jede neue Hiobsbotschaft, die in den Medien über Risiken am Arbeitsplatz verbreitet wurde. Als in den Nachrichten stand, dass häufig wiederholte Bewegungen zu Gelenkermüdung führen konnten, erschien sie Tags darauf mit speziellen Gelenkschützern und Druckbandagen im Büro. Seit Neuestem trug sie einen Kopfhörer mit Mikrofon wie Mitarbeiter in Callcentern, um ihren Hals von der Belastung durch den ans Ohr geklemmten Telefonhörer zu schützen. Norris erinnerte sich noch vage daran, dass sie irgendwann allergisch gegen Parfümstoffe gewesen war. Dass diese Allergien verschwunden waren, lag nur an ihrer recht begrenzten Aufmerksamkeitsspanne.
Norris war vor langer Zeit zu dem Schluss gekommen, dass Brenda sich unbedingt einbilden wollte, ihr Job – der daraus bestand, vor einer Tastatur zu sitzen und ans Telefon zu gehen - sei auf seine Art genauso gefährlich wie ein Fronteinsatz der Marines. In ihrer Vorstellung hatte sie sich mindestens ebenso viele Medaillen für im Einsatz erlittene Verwundungen verdient.
»Danke, Brenda«, antwortete der ADDI herzlich. »Ich freue mich auf die Reise.«
»Holen Sie sich bloß keinen Sonnenbrand«, warnte seine Sekretärin, schließlich lauerten in allen Lebenslagen Gefahren. »Dort unten bekommen sogar die Drinks kleine Sonnenschirme, damit sie nicht verbrennen. Diese UV-Strahlen haben
es in sich. Im Online-Wetterbericht für St. John und die Virgin Islands habe ich gelesen, dass kein Wölkchen am Himmel steht.«
»Das hört man doch gern.«
»Joshua und ich haben mal Urlaub in St. Croix gemacht.« Sie sprach es »Crooiks« aus. »Am ersten Tag hat er sich einen so schlimmen Sonnenbrand geholt, dass er sich das Gesicht mit Zahnpasta einschmieren musste, um sich abzukühlen. Können Sie sich das vorstellen?«
»Lieber nicht, wenn Sie erlauben.« Norris überlegte kurz, ob er zusätzliche Munition einpacken sollte, entschied sich aber dagegen. Er war nämlich – was nur die wenigsten wussten - ein ausgezeichneter Schütze.
Brenda kicherte. »Vorsorge ist besser als Nachsorge, stimmt’s? Aber St. John ist um diese Jahreszeit wirklich ideal. Blauer Himmel, blaues Meer, weißer Sand. Und ich habe gerade gecheckt, dass Ihr Wagen mit Ihrem Gepäck in Parkdeck 2A wartet. Um diese Zeit brauchen Sie höchstens eine halbe Stunde nach Dulles.«
Sie hatte recht – trotz ihrer Geschwätzigkeit und all ihren eingebildeten Krankheiten war sie sehr effizient -, aber Caleb Norris hatte trotzdem viel Zeit für den Flughafen eingeplant. Auch mit allen nötigen Papieren dauerte es meistens ziemlich lange, am Flughafen eine Waffe einzuchecken. Aber heute war die Schlange in der Businessclass nur kurz.
»Guten Tag«, sagte der Mann am Check-in-Schalter mit automatischer Höflichkeit. »Und wo soll es heute hingehen?«
Norris schob sein Ticket über den Tresen. »Zürich«, sagte er.
»Sicher zum Skifahren.« Der Mann warf einen Blick auf Norris’ Pass und die Buchungsbestätigung und stempelte dann die Bordkarte.
Norris warf einen Blick auf die Uhr. »Klar, was denn sonst?«
Während er beobachtete, wie eine Windböe vor dem Musee Armandier durch die Straße fegte, spürte Ambler, wie das BlackBerry, das ihm Fenton gegeben hatte, in der Innentasche seiner Jacke vibrierte. Es konnte nur eine Nachricht von Fenton sein. Er überflog die Nachricht auf dem großen Display. Ein Assistent von Fenton schrieb ihm, um für heute Abend ein Rendezvous zu arrangieren – diesmal unter freiem Himmel. Als Ambler das Gerät zurück in die Tasche steckte, spürte er ein leichtes, unbehagliches Prickeln.
»Wo?«, fragte Laurel.
»Père Lachaise«, antwortete der Agent. »Nicht besonders einfallsreicher Treffpunkt, hat aber durchaus seine Vorzüge. Und Fenton trifft sich möglichst nie zweimal am gleichen Ort mit jemandem.«
»Ich finde das merkwürdig«, sagte Laurel. »Gefällt mir irgendwie nicht.«
»Weil es ein Friedhof ist? Keine Sorge, es könnte auch ein Jahrmarkt sein. Es treiben sich ziemlich viele Leute dort herum. Vertrau mir, ich weiß, was ich tue.«
»Ich wünschte, ich hätte Ihr Selbstvertrauen«, sagte Caston. »Fenton ist ein verdammter Risikofaktor. Sein ganzes Arrangement mit der Regierung ist extrem verwickelt. Ich habe meinen Assistenten gebeten, die Sache unter die Lupe zu nehmen, aber das Ganze ist so gut gesichert wie die Goldreserven in
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