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Ambler-Warnung

Ambler-Warnung

Titel: Ambler-Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ludlum
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des zwanzigsten Jahrhunderts hier studiert hätte, dann wüsste ich das.«
    »Danke«, sagte Ambler tonlos. »Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben.« Mit zitternden Händen drückte er den Off-Knopf an seinem Handy.
    Das war doch Wahnsinn!
    War es möglich, dass seine komplette Identität ein Hirngespinst war? War das möglich? Er schloss die Augen und erlaubte seinen zahllosen Erinnerungen aus vierzig Lebensjahren aufzuschäumen, über ihn hinwegzuwirbeln, zusammenzufließen und sich in einem freien, unstrukturierten Assoziationsstrom über ihn zu ergießen. Er hatte mehr Erinnerungen, als er zählen konnte, und es waren Hal Amblers Erinnerungen. Außer, er wäre wirklich geisteskrank. Der Tag, an dem er bei einer Entdeckungstour durch den Hintergarten auf ein Nest Erdwespen getreten war – die wie ein schwarz-gelber Geysir aus dem Boden geschossen kamen – und wie er später mit dreißig Stichen in der Notaufnahme aufgewacht war. Der heiße Juli im Ferienlager, als er im Candaiga-See den Schmetterlingszug gelernt hatte. Und der erste flüchtige Blick auf einen Busen, den er erhascht hatte, als sich die Betreuerin Wendy Sullivan in einer Umkleidekabine mit einer kaputten Tür umzog. Der August, in dem er als Fünfzehnjähriger im Grillrestaurant eines Vergnügungsparks zehn Meilen südlich von Camden, Delaware, gearbeitet hatte. Dort lernte er, Kunden
einen frischen Maiskolben zusätzlich anzudrehen, wenn sie nur Spareribs und Kartoffelbrei bestellten. Die ernsthaften Diskussionen mit der lockigen Julianne Daiches von der Fritteuse über den Unterschied zwischen Knutschen und Petting. Auch weniger angenehme Erinnerungen tauchten in ihm auf. Sie hingen damit zusammen, dass sein Vater die Familie verlassen hatte, als Ambler knapp sieben Jahre alt gewesen war. Und damit, dass beide Eltern nur zu gern Trost in der Flasche gesucht hatten. Er erinnerte sich an eine Pokernacht im ersten Studienjahr, bei der besonders die reichen Schnösel zunehmend beunruhigt seinen ständig wachsenden Chip-Berg betrachtet hatten, als betrüge er so geschickt, dass sie es nicht merkten. Auch eine Romanze im zweiten Studienjahr in Carlyle fiel ihm ein. Gott, wie atemlos und drängend waren ihre ersten Begegnungen gewesen, wie heiß die Tränen, die stürmischen Vorwürfe und Versöhnungen. Der Duft ihres Zitronenshampoos mit Verbene war ihm damals so exotisch erschienen, und noch Jahre später überwältigten ihn bei der Erinnerung an diesen Geruch Nostalgie und Sehnsucht.
    Er erinnerte sich an seine Rekrutierung durch Consular Operations und an die Ausbildung, bei der seine Ausbilder seine besondere Begabung immer faszinierter förderten. An seinen Scheinjob im Außenministerium, wo er als Kulturattaché in der Abteilung für Bildung und Kultur geführt wurde, der regelmäßig im Ausland unterwegs war. An all das erinnerte er sich klar und präzise. Er hatte ein Doppelleben geführt. Oder war es einfach nur eine doppelte Illusion gewesen? Er verließ das Zimmer mit bohrenden Kopfschmerzen.
    In einer Ecke der hochtrabend betitelten Lobby des Hotels stand ein Computer mit Internetzugang als kleine Annehmlichkeit für die Gäste. Ambler setzte sich vor den Bildschirm
und loggte sich mit einem Passwort der Analyseabteilung des Außenministeriums in die Zeitungsdatenbank LexisNexis ein. Die Regionalzeitung von Camden, dem Ort, in dem Ambler aufgewachsen war, hatte einmal einen kleinen Artikel über ihn gebracht. Er hatte einen Buchstabierwettbewerb des Countys gewonnen. Enthalpie. Dithyrambus. Helleborus. Ambler buchstabierte alle Fremdwörter flüssig und korrekt und etablierte sich so nicht nur als der beste Buchstabierer der Simpson-Grundschule, sondern des gesamten Kent County. Er merkte es augenblicklich, wenn er einen Fehler machte – der Gesichtsausdruck des Preisrichters sagte es ihm. Seine Mutter – die ihn damals bereits allein aufzog – hatte sich damals irrsinnig gefreut. Aber jetzt stand mehr auf dem Spiel als kindliche Eitelkeit.
    Er startete die Nexis-Suche.
    Nichts. Sein Suchbegriff lieferte kein Ergebnis. Er sah den Artikel in der Dover Post noch genau vor sich und erinnerte sich, dass seine Mutter ihn mit einem Magneten in der Form einer Scheibe Wassermelone an der Kühlschranktür befestigt hatte. Und ihn dort ließ, bis er vergilbt war und das Papier sich allmählich auflöste. Bei LexisNexis gab es zig Jahrgänge der Dover Post, ein ganzes Archiv der unterschiedlichsten Lokalnachrichten. Über die Sieger und

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