Ambler-Warnung
Verlierer bei den Stadtratswahlen, die Entlassungen bei der Seabury-Strumpfwarenfabrik, die umfassende Renovierung des Rathauses. Aber laut Nexis existierte Harrison Ambler nicht. Er existierte nicht und hatte auch nie existiert.
Das war doch Wahnsinn!
Am Flughafen erwartete ihn der vertraute Dschungel aus Terrazzo, Stahl und Glas und die vertraute Atmosphäre einer geschäftigen Arbeitsstelle. Wo man hinschaute, sah man Flugbegleiter,
Sicherheitsbeamte und Gepäckbeauftragte, die alle Namensschilder und diverse Uniformen trugen. Ambler hatte den Eindruck, dass diese Umgebung eine Mischung aus einer staatlichen Postsammelstelle und einem überfüllten Ferienort darstellte.
Er kaufte für hundertfünfzig Dollar ein einfaches Ticket nach Wilmington. Sozusagen der Eintrittspreis für das Rendezvous. Er blickte genauso gelangweilt drein wie die Frau am Check-in-Schalter, die ein Gähnen unterdrückte, als sie seine Bordkarte stempelte. Der Lichtbildausweis, den er ihr vorlegte - der Führerschein aus Georgia, der inzwischen ein Foto des jetzigen Benutzers zeigte –, hätte keiner sorgfältigeren Kontrolle standgehalten. Aber glücklicherweise wurde er auch keiner unterzogen.
Ausgang D14 lag am Ende eines sehr langen Flures und war mit zwei weiteren Gates strahlenförmig angeordnet. Ambler blickte sich um: Er sah nur eine Handvoll weitere Passagiere. Die Uhr über dem Gate zeigte 14.30 an, die nächsten Flüge von diesen Gates würden erst in anderthalb Stunden starten. In der nächsten halben Stunde würde sich die Wartezone mit den Passagieren füllen, die einen frühen Flug nach Pittsburgh gebucht hatten, aber im Moment herrschte hier wirklich tote Hose.
War die Person, die er treffen sollte, bereits hier? Vermutlich. Aber wer war es? Sie werden mich erkennen, hatte die Nachricht gelautet.
Ambler schlenderte durch die verschiedenen Wartezonen und sah sich die Streuner und Uberpünktlichen an, die bereits hier waren. Die pummelige Frau, die ihre ebenfalls pummelige Tochter mit Süßigkeiten fütterte. Der Mann im schlecht sitzenden Anzug, der in eine PowerPoint-Präsentation vertieft war. Die junge, gepiercte Frau, die ihre Jeans offenbar mit
bunten Filzstiften verschönert hatte. Sie alle kamen nicht infrage. Amblers Frustration wuchs. Sie werden mich erkennen.
Schließlich heftete sich sein Blick auf einen Mann, der allein an einem Fenster saß.
Es war ein Sikh mit einem Turban, der USA Today las und dabei die Lippen bewegte. Als Ambler ihm näher kam, bemerkte er, dass der Mann offenbar keine Haare hatte, denn unter dem Turban lugte keine einzige Haarsträhne hervor. Ein leichter Klebstofffilm auf der Wange des Mannes deutete darauf hin, dass der Vollbart erst vor Kurzem angebracht worden war. Bewegte der Mann wirklich die Lippen beim Lesen oder kommunizierte er über ein fiberoptisches Mikrofon?
Auf alle anderen wirkte der Mann vollkommen reglos, gelassen und gelangweilt. Auf Ambler wirkte er extrem angespannt. Instinktiv drehte er sich herum und trat hinter die sitzende Gestalt. Mit einer blitzschnellen Bewegung packte er den Turban des Mannes und hob ihn hoch. Darunter lag der bleiche, glatt rasierte Schädel – auf den mit Kreppband eine kleine Glock geklebt war.
Ambler riss die Pistole an sich und setzte dem Mann den Turban wieder auf. Der Sitzende blieb stocksteif sitzen, mit der taktischen Bewegungslosigkeit und Ruhe eines gut ausgebildeten Profis, der wusste, dass manchmal keine Reaktion die beste Reaktion war. Nur die hochgezogenen Augenbrauen verrieten seine Überraschung. Die ganze lautlose Aktion hatte keine zwei Sekunden gedauert, und Ambler hatte mit seinem Körper allen anderen die Sicht darauf versperrt.
Die Pistole fühlte sich in seiner Hand ungewöhnlich leicht an, und er erkannte das Modell sofort. Das Griffstück bestand aus Kohlefaser und Keramik, der Schlitten enthielt
weniger Metall als eine durchschnittliche Gürtelschnalle. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Waffe einen Metalldetektor auslösen würde, war nur gering, und noch geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass die Sicherheitsbeamten einen Sikh dazu zwingen würden, die von seiner Religion vorgeschriebene Kopfbedeckung abzunehmen. Eine Tube Selbstbräuner und ein Meter muslimischer Stoff: eine billige, aber höchst wirksame Verkleidung. Die Erfahrung und die Effizienz, mit der dieses Rendezvous geplant worden war, erfüllten Ambler erneut mit einer Mischung aus Bewunderung und Furcht.
»Bravo«, sagte der falsche
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