Ambler-Warnung
der Ecke Fifth Avenue und Central Park South war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts errichtet worden und galt seitdem als Treffpunkt der feinen Leute Manhattans. Mit seinen kupferbeschlagenen Gesimsen und den vergoldeten Möbeln mit Brokatbezug erinnerte es an ein prächtiges französisches Chäteau direkt am Central Park. Der
Oak Room und der Palmengarten, die eleganten Galerien und Boutiquen boten Besuchern zahllose Gelegenheiten, das Hotel finanziell zu unterstützen. Sogar denjenigen, die keins der achthundert Zimmer gebucht hatten.
Aber nicht hier führten die beiden Männer ihre Unterhaltung fort, sondern in dem Swimmingpool mit Olympiamaßen, der im fünfzehnten Stock des Hotels lag. Osiris hatte darauf bestanden.
Schon wieder ein hervorragender Ort für ein Rendezvous dieser Art, dachte Ambler, während die beiden Männer sich ihrer Kleider entledigten und die vom Plaza-Hotel gestellten Badehosen anzogen. Unter diesen Bedingungen ließ sich nur schwer ein Abhörgerät verbergen – und der Geräuschpegel in dem Hallenbad würde es ohnehin beinahe unmöglich machen, eine verwertbare Aufnahme zu erstellen.
»Also, für wen arbeiten Sie zurzeit?«, hatte Ambler das Gespräch eröffnet. Er und Osiris hielten sich am tiefen Ende des Beckens auf und traten Wasser. Eine ältere Dame zog am seichten Ende träge ihre Bahnen über die Schmalseite des Pools. Ansonsten war das Becken leer. Ein paar Damen in einteiligen Badeanzügen, dem Aussehen nach reiche Witwen, entspannten sich bei einer Tasse Tee oder Kaffee in den Liegen am Beckenrand. Zweifellos, um Kraft für ihr auf später verschobenes Fitnesstraining zu sammeln.
»Für Leute, die uns genau genommen sehr ähneln«, antwortete Osiris. »Wirklich. Sie sind nur anders organisiert.«
»Das klingt spannend«, sagte Ambler, »aber erleuchtet bin ich nicht gerade. Wovon zum Teufel sprechen Sie eigentlich?«
»Es geht eigentlich nur darum, Talent freizusetzen. Es gibt viele ehemalige Geheimagenten, um genau zu sein, viele ehemalige Stab-Boys, die ihre Fähigkeiten bis jetzt nur beschränkt einsetzen durften. Jetzt dienen sie immer noch den
Interessen Amerikas, werden aber von Privatunternehmern eingesetzt und bezahlt.« Osiris’ Leibesfülle sorgte dafür, dass er nur langsam Wasser treten musste, um an der Oberfläche zu bleiben.
»Privatunternehmen. Eine alte Geschichte. So alt wie die hessischen Söldner, die ein bisschen Schwung in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bringen sollten.«
»Na ja, vielleicht nicht ganz.« Osiris atmete entspannt. »Wir sind als Netzwerk verschiedener Partner im privaten Sektor organisiert. Und die Betonung liegt auf Netzwerk.«
»Also mehr wie Avon oder Tupperware, und nicht wie ThyssenKrupp. Multilevel-Marketing sozusagen.«
Dem Klang von Amblers Stimme folgend, drehte Osiris den Kopf leicht zu ihm. Die blinden Augen schienen ihn forschend anzustarren. »Ich würde es etwas anders formulieren, aber die Grundidee haben Sie begriffen. Unabhängige Agenten, die unabhängig arbeiten, aber von ihren >Arbeitgebern< eingesetzt und koordiniert werden. Jetzt verstehen Sie sicher auch, warum man Sie unbedingt im Team haben will. Aus dem gleichen Grund, aus dem man auch mich angeworben hat. Ich verfüge über einige einzigartige Fähigkeiten. Genau wie Sie. Und diese Leute sind sehr daran interessiert, herausragende Talente zu rekrutieren. Das verschafft Ihnen eine sehr gute Verhandlungsposition. Wissen Sie, bei den Stab-Boys sind Sie eine beinahe mythische Gestalt. Und den Bossen würde es schon genügen, wenn nur die Hälfte der Geschichten, die man über Sie erzählt, stimmen. Ich habe Sie arbeiten sehen, also weiß ich, was Sie können. Verdammt, was Sie in Kuala Lumpur durchgezogen haben, ist schon beinahe legendär. Und schließlich war ich dabei, wie Sie vermutlich wissen. In der Political Stabilization Unit sprechen nämlich nicht viele fließend Malaysisch.«
»Das ist lange her«, sagte Ambler und streckte sich auf dem Rücken im Wasser aus.
Kuala Lumpur. Er hatte viele Jahre nicht mehr daran gedacht, aber auf diese Erinnerungen konnte er mühelos zugreifen. Ein Kongressgebäude im Putra World Center im Bankenviertel der Stadt, in der Nähe des Golden-Triangle-Viertels und der Petronas Twin Towers. Dort fand eine internationale Handelskonferenz statt, und Tarquin war offiziell als Vertreter einer New Yorker Anwaltskanzlei, die sich auf den Schutz geistigen Eigentums spezialisiert hatte, eingeladen. Damals unter
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