Ambler-Warnung
nicht dazu.«
»Arkady wusste aber nichts davon.«
»Arkady hat nur weitergegeben, was wir ihm gesagt hatten. Er dachte, er wüsste genau Bescheid, aber wir haben ihn im Dunkeln gelassen.« Osiris lachte. »Ich habe ihn angelogen, er hat Sie angelogen, aber weil er glaubte, was er Ihnen erzählte, war die Sache astrein.«
»Danke, dass Sie mich daran erinnern«, sagte Ambler. »Woher soll ich wissen, dass man Sie nicht auch angelogen hat? Zumindest, was andere Dinge betrifft.« Er blickte kurz in den Rückspiegel des Chauffeurs und ihm wurde schwindlig. Der fleischige, kahlköpfige Osiris saß neben einem anderen Mann, den Ambler einen Moment lang nicht einordnen konnte. Kurzes braunes Haar, blaue Augen und ein Gesicht ...
Ein symmetrisch geschnittenes Gesicht, das beinahe grausam attraktiv wirkte. Ein Gesicht, das Ambler erst einen Augenblick später erkannte.
Sein Gesicht. Und doch auch ein Fremder, den er in einem Motel 6 in New Jersey zum ersten Mal gesehen hatte, und dessen Anblick ihm immer noch das Blut in den Adern gefrieren ließ.
»Die Prämisse Ihrer Frage würde verhindern, dass ich Ihnen darauf eine ehrliche Antwort geben kann«, sagte Osiris betont langsam. Seine milchigblauen Augen waren starr und blind auf Ambler gerichtet. »Sie müssen sich auf Ihren Instinkt verlassen. Das ist doch Ihre Spezialität, oder?«
Ambler schluckte mühsam und atmete tief durch. Er drehte sich zu dem blinden Agenten um. »Dann schlage ich ein kleines Quiz vor: Kennen Sie meinen Namen?«
»Was glauben Sie denn? Wir haben schließlich bei drei oder vier Aufträgen zusammengearbeitet. Ein paar Dinge sollte ich in all diesen Jahren schließlich doch aufgeschnappt haben. Ihr Deckname lautet Tarquin, Ihr wirklicher Name ist Henry Nyberg ...«
»Nyberg ist auch nur ein Deckname«, unterbrach ihn Ambler. »Ich habe ihn ein paarmal benutzt und längst zu den Akten gelegt. Wie heiße ich wirklich?«
»Also jetzt klingen Sie wie ein Zuhälter aus der Bronx«, sagte Osiris schleppend. Er versuchte, seinen heiteren Ton beizubehalten. »Wie heiße ich? Wer ist dein Daddy? Ich verstehe ja, dass Sie viele Fragen haben. Aber ich bin nicht die Auskunft. Ich kenne vielleicht ein paar Antworten. Aber nicht alle.«
»Und warum nicht?«
Osiris trübe Augen wirkten unter seinen dünnen, beinahe gestrichelten Augenbrauen erstaunlich wach und scharfsichtig. »Weil einige Antworten, um es mal vorsichtig auszudrücken, über meiner Gehaltsklasse liegen.«
»Ich nehme, was ich kriegen kann«, sagte Ambler brüsk.
»Halbwissen ist etwas sehr Gefährliches, mein Freund. Sie sollten sich das zu Herzen nehmen. Vielleicht wollen Sie gar nicht wissen, was Sie in Erfahrung bringen werden.«
»Oh doch. Glauben Sie mir.«
Osiris richtete seine blinden Augen lange und forschend auf ihn. »Dann schlage ich vor, dass wir uns woanders weiterunterhalten«, sagte er.
Kapitel neun
Peking
Nachdem Präsident Liu Ang sich in seine Privatwohnung in einem anderen Trakt des Komplexes zurückgezogen hatte, unterhielten sich seine Berater weiter.
»Was ist mit den Fotos, die Sie erwähnt haben?«, fragte der MSS-Veteran mit der leisen Stimme, an Chao gewandt.
Chao Tang, Vorsitzender der zweiten Abteilung, nickte und nahm ein Dossier aus seiner schwarzen Dokumentenmappe. Er breitete mehrere Fotos auf dem Tisch aus. »Natürlich habe ich Ang diese Indizien bereits vorgelegt. Seine Reaktion war vorhersehbar. Er hat überhaupt nicht darauf reagiert. Ich habe ihn gebeten, aus Sicherheitsgründen wenigstens seine Auslandstermine abzusagen. Er hat abgelehnt. Aber Sie sollten sich diese Fotos genau ansehen.«
Er tippte mit dem Finger auf ein Bild, das eine Menschenmenge vor einem hölzernen Podium zeigte.
»Dieses Bild wurde ein paar Minuten vor dem Anschlag in Changhua aufgenommen«, sagte der Meisterspion Chao. »Sie erinnern sich bestimmt noch gut daran. Die Sache liegt noch nicht einmal zwei Jahre zurück. Bitte beachten Sie das Rundauge in der Menge.«
Nun verteilte er ein weiteres Foto, eine digital vergrößerte Nahaufnahme des weißen Mannes.
»Der Attentäter. Der Mann, dessen blutiges Werk dieser Anschlag war. Ich habe noch andere Fotos, die ihn an den Schauplätzen weiterer Morde zeigen. Er ist wirklich ein Monster. Unsere Spione haben einiges über ihn in Erfahrung gebracht.«
»Wie heißt dieses Monster?«, fragte der betagte Li Pei mit seinem rauen, bäuerlichen Akzent.
Die Frage war Chao sichtlich unangenehm. »Wir kennen nur
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