Ambler-Warnung
leitet ... Wie gesagt, Sie kannten meinen Auftrag. Meiner Meinung nach waren Sie nur zu höflich, mich darauf anzusprechen.«
»Wahrscheinlich wusste ich, dass Sie mir nichts Böses wollten.«
»Und damit hatten Sie recht«, sagte Osiris. »Ehrlich gesagt mochte ich Sie sehr. Und zwar seit Kuala Lumpur.«
»Diese Sache wurde doch total aufgeblasen.«
»Dass Sie die Dschihad- Spinner geschnappt haben? Das meine ich nicht.«
»Was denn sonst?«
»Versuchen Sie sich daran zu erinnern, was kurz davor passiert ist.«
»Sie waren an der Eingangstür des Putra World Center stationiert. Also saßen Sie am Ende der Bar und tranken einen Apfelsaft mit Sprudel. Sah aus wie Bier. Sie hatten einen Ohrhörer im Ohr, und unser Techniker spielte Ihnen Audioaufnahmen aus der Lobby vor. Falls Sie etwas Interessantes oder Auffälliges hören sollten, hatten Sie Anweisung, mir ein Zeichen zu geben.«
»Tja, es kam nicht dazu. Ich musste gar nichts tun. Aber ich meinte eine Situation, die sich kurz vorher ergeben hatte. Wir sind in unserer Kongressausrüstung zum Center marschiert. Mit diesen Krawattenträgern von Kilgour, French & Stanbury, denen man die bezahlten Überstunden schon an den Manschettenknöpfen ansah.«
»Wenn Sie es sagen«, grunzte Ambler.
»Diese Fingerspitzen lügen nie. Ihre Anzüge waren aus feinstem Kammgarn, an Hals und Schultern perfekt geschnitten.« Osiris hob die Hände und bewegte die Finger wie ein Zauberer. »Wir laufen also ganz in der Nähe unseres Zielorts
über den Bürgersteig. Da steht ein Bauer aus der Provinz, der schon seit einiger Zeit versucht herauszufinden, wo der nächste Bahnhof ist. Aber niemand beachtet ihn. Ich höre an seinem Akzent, dass er ein Dayak ist, also ein Angehöriger der relativ primitiven, ethnischen Minderheit, die in den letzten paar verstreuten Dörfern lebt, die es in Malaysia noch gibt. Ein Dayak, der sich ins Bankenviertel von Kuala Lumpur verirrt hat. Die Leute haben es eilig, keiner hat Zeit für einen Dayak, also ignorieren sie ihn, als sei er Luft. In seiner \/erzweiflung wendet sich der kleine Kerl – wahrscheinlich trug er Sandalen und einen seltsamen Umhang – schließlich an Sie und fragt Sie, wo der Bahnhof ist.«
»Wenn Sie es sagen«, erwiderte Ambler.
»Sie wohnen ja nicht in Kuala Lumpur, also haben Sie keine Ahnung. Aber statt den Kerl mit einem >Tut mir leid< abzuspeisen, halten Sie einen der vorbeieilenden Geschäftsmänner an. Natürlich sind die gern bereit, einem wohlhabenden Ausländer zu helfen. Sie fragen also, während der kleine Dyak neben Ihnen steht: >Könnten Sie uns sagen, wo der nächste Bahnhof ist?< Und bleiben stehen, während der Anzugträger ausführlich erklärt, wie Sie dahin kommen. Währenddessen fahre ich beinahe aus der Haut, weil wir einen Riesenauftrag vor uns haben und Sie in aller Seelenruhe einem Dorfdeppen dabei helfen, den Heimweg zu finden.«
»Ja und?«
»Sie werden sich nicht daran erinnern, weil es für Sie nichts Besonderes war. Für mich aber schon. Ich hatte gedacht, Sie seien genauso ein blödes Arschloch wie die meisten Stab-Boys, und plötzlich musste ich meine Meinung noch mal überdenken.«
»Wie bitte? Nicht einmal ein halb so blödes Arschloch?«
»Nein. Sanft wie ein Lämmchen«, lachte Osiris. Ambler erinnerte sich, dass er durchaus Humor hatte. »Seltsam, an was man sich alles erinnert. Und seltsam, was man alles vergisst. Und das bringt mich zur nächsten Phase der psychologischen Experimente. Der Vietnamkrieg war noch in vollem Gang. Nixon war noch nicht in China. Und als Nächstes trat ein außerordentlich brillanter, hochgefährlicher und mächtiger Mann auf den Plan.«
»Was soll das werden? Eine fade Geschichtsstunde?«
»Sie wissen ja, wie das Sprüchlein geht: Wer seine Vergangenheit nicht kennt ...«
»Fällt durch die Geschichtsprüfung«, unterbrach Ambler. »Bla, bla. Manchmal glaube ich, dass nur diejenigen, die sich an ihre Vergangenheit erinnern, dazu verdammt sind, sie bis in alle Ewigkeit zu wiederholen.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Sie reden von denen, die Kriege vom Zaun brechen, weil ihnen vor ewigen Zeiten mal ein Unrecht zugefügt wurde. Aber wenn ich in Ihrem Obstgarten einen Schädling einpflanze? Ein Nachtschattengewächs zwischen Ihren Johannisbeerbüschen verstecke? Das würden Sie doch sicher wissen wollen, oder?«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich spreche von James Jesus Angleton und den vielen Opfern seines Lebenswerks.«
»Und wer sollen die sein,
Weitere Kostenlose Bücher