Ambler-Warnung
sich in aller Öffentlichkeit mit mir zu treffen. Sie sind viel zu bekannt für so etwas.«
Fenton zwinkerte ihm zu. »Die meisten Menschen sehen nichts, was sie nicht erwarten. Und ich bin schließlich kein Hollywoodstar. Außerdem ist manchmal eine Menschenmenge das beste Versteck, finden Sie nicht auch?« Er trat einen Schritt zurück und deutete auf die Passage. »Willkommen in der größten unterirdischen Fußgängerzone der Welt.« Fenton sprach mit einem weichen Bariton. Seine Haut war rot und wettergegerbt, aber seltsam glatt. Vielleicht hatte er sich eine Dermabrasion gegönnt. Er hatte ausgeprägte Geheimratsecken, aber winzige Haarimplantate, die wie Puppenhaar aussahen, wuchsen beinahe geometrisch angeordnet aus den gelichteten Stellen. Also ein Mann, der viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres legte.
Er wirkte athletisch und durchtrainiert. Und reich. Wie ein geschmeidiger Krieger, der nach einem Polo-Wochenende in Argentinien Abrams-Panzer durch den Tschad steuerte und sich am folgenden Wochenende bei einem Mineralpeeling im Parrot-Cay-Spa entspannte. Durchtrainiert, wettergegerbt, aber ... die Feuchtigkeitscreme immer im Handgepäck. Der Archetyp des Selfmade-Milliardärs.
»Die Stadt im Untergrund«, sagte Ambler. »Der perfekte Ort für die graue Eminenz.«
Fenton hatte nicht übertrieben. Die sogenannte Underground City bestand aus über zwanzig Meilen an Passagen
und beherbergte sechzehnhundert Boutiquen, mehrere Hundert Bistros und Restaurants und einige Dutzend Kinos. Auch wenn über der Erde eine Eiseskälte herrschte, war es hier angenehm warm und hell. Ambler sah sich um. Die langen, geschwungenen Oberlichter, mehrere durch Rolltreppen verbundene Ebenen und Terrassen, die über die riesige Halle hinwegblickten, ließen das Einkaufszentrum weit und geräumig wirken. Die Underground City verband das Luxuskaufhaus Cours Mont-Royal mit dem Eaton Centre und erstreckte sich von den Arkaden des Complexe Desjardins bis zum Palais de Congrès, dem gewaltigen Kongresszentrum, das wie ein breitbeinig hockender Riese aus Stahl, Glas und Beton den Ville-Marie-Expressway überspannte.
Ambler begriff, warum Fenton diesen Ort gewählt hatte. Er wollte ihm ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Es war sehr unwahrscheinlich, dass ihm an einem so exponierten Ort Gefahr drohte.
»Ich habe eine Frage«, fuhr Ambler fort. »Sind Sie allein hier? Bisschen ungewöhnlich für einen Mann von Ihrem ... Status, oder?«
»Sie können das doch beurteilen ...«
Ambler sah sich um und ließ seinen Blick über ein Dutzend Gesichter gleiten. Da. Ein Mann mit kantigem Gesicht, der eine dunkle Wachsjacke trug. Kurze Haare, Mitte vierzig. Und dort, rund sieben Meter zu seiner Linken, ein weiterer, der sich sehr unwohl zu fühlen schien und viel eleganter gekleidet war: Er trug einen doppelreihigen Kamelhaarmantel, unter dem dunkelgraue Anzughosen hervorschauten. »Ich sehe nur zwei. Und einer von ihnen ist nicht gerade in seinem Element.«
Fenton nickte. »Gillespie ist eigentlich mein Sekretär. Kann prima mit Oberkellnern umgehen, das ist seine Kernkompetenz.
« Fenton nickte dem Mann im Kamelhaarmantel zu. Der nickte zurück und errötete leicht.
»Aber Sie wollten mir etwas über Osiris erzählen, und für ein Gespräch unter vier Augen ist dieser Ort nicht gerade ideal.«
»Da weiß ich genau das richtige Plätzchen«, schnurrte Fenton und führte Ambler ein kurzes Stück weiter zu einer extrem exklusiv aussehenden Boutique. Im Schaufenster hing nur ein einziges Kleid, das hauptsächlich aus leuchtender, violett changierender Seide bestand. Der Stoff war nicht gesäumt, und lose, grüne Fäden hingen von allen sichtbaren Nähten. Es sah aus, als sei es erst halb fertig. Schneider stellten solche unfertigen Modelle manchmal in ihren Ateliers aus. Aber dieses Kleid hier, begriff Ambler, war bereits vollendet: Dies war »Dekonstruktion«, ein Look, der in den Modezeitschriften der letzte Schrei war und die Fachpresse zweifellos zum Schwärmen brachte, wenn ein magersüchtiges Model ihn auf dem Laufsteg präsentierte. Auf einer kleinen Messingplakette war der Name der Boutique eingraviert: SYSTEME DE LA MODE.
Abermals war Ambler von Fentons Wahl beeindruckt: Dieser Ort war ausgezeichnet, denn er bot sowohl Sicherheit als auch Privatsphäre. Die sündteure, hochexklusive Boutique war zwar von der Passage aus einsehbar, aber nur jeder tausendste Passant würde den Mut aufbringen, sie tatsächlich zu betreten.
Hinter
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