Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
Vom Netzwerk:
übersät mit Blättern. Ließ es sich in der Stadt noch ignorieren, so war es hier offensichtlich: Der Herbst war in vollem Gange. Während der Mops vorne auf Bronkas Schoß eingeschlafen war, nutzte Cudny jede unaufmerksame Sekunde, um seine Schnauze in den Picknickkorb zu stecken. Einmal hätte er es sogar beinahe geschafft, das Mayonnaise-Glas aufzuhebeln, und alles nur, weil ich so tat, als schlafe ich – in Wahrheit belauschte ich den geflüsterten Dialog zwischen Bartosz und seiner Mutter, ob es
wirklich
derrichtige Zeitpunkt sei, mich dem Vater vorzustellen. Bronka beendete das Gespräch mit einem knappen: Jeder Zeitpunkt ist gleich schlecht. Dann schaltete sie das Radio ein.
    Ich tat so, als würde ich zusammen mit Mopsik aufwachen, und kurbelte das Fenster herunter, um die kleinen Dörfer zu betrachten, die meisten an Seen gelegen, und den dichten Wald, der zwischen ihnen lag. Am Ende der Fahrt sollte nichts mehr von der Mayonnaise übrig sein und Cudny sich den Magen verrenkt haben, trotzdem würde es Bartosz’ ganzer Stolz sein, dass sein Hund der wahrscheinlich einzige Vierbeiner auf der Welt sei, der polnische Schraubgläser öffnen konnte.
    Nach knapp zwei Stunden ließ sich Bronka zusammen mit ihrem Schoßhund in einem Dorf nahe der Hütte absetzen und Bartosz, Cudny und mich alleine weiterfahren. Eng in eine hellblaue Windjacke eingewickelt, schlug sie die Tür zu und ging auf ein Bauernhaus zu, wo sie ein paar Gänse zur Mast kaufen wollte. Bartosz fuhr so schnell an, dass der Kies spritzte und die Hunde erschrocken losbellten. Im Rückspiegel sah ich, wie sich Bronka umdrehte und uns einen Vogel zeigte, aber ich sagte nichts.
    In Gedanken war ich noch immer bei uns in der Küche, kurz vor der Abfahrt, mit Renia am Küchentisch, sah ihr Gesicht vor mir, wie sie mich anlächelte und sagte, ich hätte in der Nacht ganz laut geredet, klar und deutlich, merkwürdige Dinge hätte ich da erzählt, sie hätte zwar nicht alles verstanden, aber einiges doch immerhin … Und wie ich meinen Kaffee darüber vergaß und überhaupt alles rundherum und mich schließlich nicht mehr beherrschen konnte und losheulte, zum ersten Mal seit meiner Kindheit weinte ich vor jemandem,aber es war mir egal, es war mir wirklich egal. Ich musste endlich jemandem von dem
kleinen Problem
erzählen, und da sagte ich es ihr einfach, zwischen Tür und Angel beichtete ich es. Aber gerade, als ich fertig wurde und Renias Augen diesen unbestimmten Glanz annahmen, da musste Bartosz draußen hupen, und bevor Renia auch nur ein Wort erwidern konnte, packte ich meine Jacke und die Tüte mit den Pfannkuchen und rannte hinaus.
     
    Kaum waren wir zwei Kilometer weiter gefahren und schon beinahe angekommen, lag da, mitten auf dem Feld, ein umgestürzter Traktor. An der Seite schauten zwei Beine hervor, mit schwarzen Gummistiefeln an den Füßen, und ich sagte bloß
O Gott
, auf Deutsch, aber da hatte Bartosz schon angehalten und war aus dem Auto gesprungen.
    Zieh, sagte Bartosz bloß, als ich ihm gefolgt war, zieh, und da packte ich die Beine, einer der Stiefel fiel dabei herunter, aber ich schaffte es, den Mann einen halben Meter hervorzuziehen, viel mehr nicht, er war hineingedrückt worden in den Schlamm wie eine Rosine in den Teig. Als wir ihn aus dem Schatten des Traktors ins Licht geholt hatten, schlug er seine Augen auf, setzte sich kerzengerade hin und rieb sich etwas verärgert die Augen, ganz so, als hätten wir ihn in seinem Nickerchen gestört.
    Hätten sich Bronka und Bartosz nicht verspätet, hätten wir nicht die Abkürzung genommen, die gar keine war, sondern ein Umweg von glatten zwanzig Kilometern, hätten deshalb nicht die Radiosendung über den Krieg im Irak gehört, hätten nicht angefangen zu diskutieren und uns in der Folge nicht verfahren, wären wirgar nicht an dieser Stelle vorbeigekommen, wer weiß, ob der Mann dann überlebt hätte, in seinem Schlamm, aber es ist eines zum anderen gekommen, und dann ist es passiert, wie es passiert ist. Natürlich hat mich Bartosz da beeindruckt, wie er dem Mann erst eine Ohrfeige verpasst und ihm dann etwas von dem Wodka eingeflößt hat, der im Kofferraum des Mazdas lag, sogar aufrichten konnte sich der Mann an Bartosz’ Schulter, seinen Namen sagen – Wajder – und sich von ihm zum Bauernhof bringen lassen, das war schon heldenhaft, aber an meiner Meinung zum Krieg und seinen Teilhabern änderte das gar nichts.
    Das Handy hatte natürlich keinen Empfang, aber der Mann,

Weitere Kostenlose Bücher