Ambra
und da seufzte Marian auf. Zum ersten Mal an diesem Tag schaute Konrad zu ihm hinüber, aber Magda legte den Arm um die Schultern ihres jüngeren Sohnes und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Daraufhin verstummte er, und schien den Rest des Nachhauseweges in Gedanken versunken.
Im Hof wurden sie von den letzten, noch immer nicht beseitigten Spuren des Hochzeitfestes empfangen. Das leere Fass stand noch immer unter der Kastanie, und ein paar Tische und Stühle verteilten sich vor den Fenstern der Werkstatt. Konrad begleitete Lilli und Magda nach oben, während Marian Agnieszka zu ihren Eltern brachte, die unweit der Myszas wohnten. Nach dem letzten großen Streit zwischen Konrad und Marian hatten sie dort Unterschlupf gefunden; die Korzeniowskis verfügten zwar nur über zwei Zimmer und einen winzigen Balkon, der als Speisekammer diente, dennoch waren die jungen Eheleute herzlich empfangen worden.
Als Marian Agnieszka auf dem Sofa ihrer Eltern abgesetzt hatte, machte er sich auf den Weg zurück zur Tischlerei. Er nahm auf einem der Stühle Platz und blinzeltein die Sonne. Ein Windstoß fuhr in die Kastanie, die im Hof stand, und trieb raschelnd die toten Hummeln mit sich fort über die Pflastersteine. Oben, aus dem geöffneten Küchenfenster, waren das Weinen von Magda und die leisen Worte von Lilli zu hören, und schließlich Konrads Schritte, der die Treppe herunterkam.
Die Sonnenstrahlen, die sich in den Fensterscheiben der Tischlerei spiegelten, blendeten Konrad. Er kniff die Augen zusammen: Als sich eine Wolke vor die Sonne schob, war im Spiegelbild ein hoch aufgeschossener Mann zu sehen, mit gescheiteltem Haar und gutsitzendem Kragen. Kazimierz Mysza hatte immer stolz gelächelt, wenn er seinen Sohn gesehen hatte, auch wenn sie sich in der Tischlerei nicht immer einig gewesen waren.
Vor einigen Jahren, als Kazimierz aufgefallen war, dass seine Hände anfingen zu zittern, hatte er die Tischlerei an seinen ältesten Sohn abgegeben. Sein jüngerer Sohn hatte nach seiner Lehre in der Tischlerei und unzähligen Streits mit seinem Bruder beschlossen, in der Werft zu arbeiten. Dort verdiente er ordentliches Geld und konnte mit einigen seiner Kollegen Polnisch sprechen, wenn auch heimlich. Mit seiner Mutter wechselte er nur dann einige polnische Brocken, wenn weder der Vater noch der Bruder in der Nähe waren – hatten sie es doch verboten, diese Sprache zu benutzen, die polnische Familie Magdas zu erwähnen oder ihrer aller Namen leichtsinnig auf die polnische Weise zu schreiben: Mysza. Das, hatte Kazimierz gesagt, sei gefährlich, in dieser Zeit, in der die Polen beinahe so unbeliebt waren wie die Juden, und Konrad fügte hinzu, es sei nicht nur gefährlich, es sei schlichtweg falsch. Das deutsche Erbe der Familie müsse respektiert werden, darauf komme es an, etwas anderes habe es nie gegeben. Und falls doch, müsse esvor aller Welt geheim gehalten werden, weil man sonst mit Folgen zu rechnen habe, früher oder später.
Als Konrad wieder nach unten kam, wartete Marian auf ihn, das rechte Bein abgestützt auf einem der Stühle.
Und jetzt? Marian betrachtete die Zigarette, die Konrad in hohem Bogen vor ihn auf den Boden schnippte. Konrads Blick glitt von seinem eigenen Spiegelbild zu Marians: Marian war der Untersetztere von beiden, das blonde Haar eine Spur zu lang, der Blick etwas zu unsicher. Konrad räusperte sich. Was soll schon sein, jetzt? Mutter wird sich beruhigen. Lilli ist bei ihr.
Ich rede von der Wohnung. Nur weil du direkt darunter arbeitest, hast du nicht mehr Recht auf sie als ich.
Schämst du dich nicht? Vater ist kaum unter der Erde, und du redest schon von seinem Besitz.
Marian blickte hoch zu dem Fenster, hinter dem zuletzt der Vater gelegen hatte. Er schlug ein Kreuz, Konrad lachte spöttisch und hörte kaum, was Marian sagte.
Vater hätte gewollt, dass wir uns vertragen. Wir müssen eine Lösung finden. Marian verstummte. Am Eingang zur Tischlerei war seine Frau erschienen.
Agnieszka! Marian sah sie fragend an, dann umarmte er sie. Die junge Frau versuchte Konrads Blick zu entgehen und versteckte sich hinter Marian. Sie redeten miteinander, nur einzelne Worte wie
żal
oder
niepokój
waren zu hören. Wie kleine weiße Fische lagen die Hände des Mädchens in Marians Hand, als sie sich wieder von ihm verabschiedete und über den Hof hastete. Konrad zog Marian durch die geöffnete Tür in die Tischlerei. Ob er denn völlig den Verstand verloren habe? In aller Öffentlichkeit polnisch
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