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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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natürlich nicht, du siehst bloß, aha, weiblich, jung, irgendwie hilflos. Was? Na los, was? Ist dir etwa nicht aufgefallen, dass Renia neben sich steht? Du nutzt ihre Situation schamlos aus.
    Kleine Wölkchen lösten sich von Kingas Mund und stiegen auf. Bartosz atmete durch. Falls er überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken.
    Ich habe doch nur mit ihr geredet! Und sie hat sich freiwillig mit mir unterhalten, hörst du, freiwillig! Sie hat mich doch angesprochen, hast du das nicht gesehen? Reg dich ab. Du tust so, als wenn sie dein Haustier wäre, dem du jeden Kontakt mit der Außenwelt verbieten könntest, nur weil …
    Nicht
jeden
! Aber ich weiß, was sie aufwühlt, was schlecht für sie ist! Ich kenne sie doch besser als du, glaubst du denn, du kannst sie einschätzen, nur weil du ein paar Mal mit ihr geredet hast?
Scheiße!
    Kinga hatte ihr Standbein wechseln wollen, war dabei aus dem Gleichgewicht geraten und gestürzt. Sie blieb auf dem Eis sitzen und fing an zu schluchzen, Bartosz drehte sich kurz um, als müsse er sich vergewissern, dass sie tatsächlich niemand beobachtete. Dann kniete er sich zu Kinga. Mein liebes Waislein. Keine Ahnung, was wirklich dein Problem ist. Aber jetzt sage ich dir mal was: Menschen kann man nicht für sich beanspruchen! Kannst dich freuen, wenn ich Renia nicht erzähle, wie kindisch du dich aufführst. Und sie wird ganz bestimmtauf meiner Seite sein, so verständig ist sie nämlich. Und selbständig, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest!
    Bartosz zog Kinga vom vereisten Pflaster hoch, wie ein nasser Sack hing sie in seinen Armen, plötzlich schien alle Energie, aller Zorn von ihr gewichen. Ihr Mantel, den zu schließen sie keine Zeit gehabt hatte, hing ihr schief von der Schulter, ihr Make-up war verschmiert. Wind war plötzlich aufgekommen. Er trug die äußerste Lage Pulverschnee ab und zog ihn wie einen glitzernden Vorhang vor die Laternen. Krögers Knie schmerzten mittlerweile, die Hockposition und die Kälte machten sich in seinen Gelenken bemerkbar, jetzt, wo es kaum noch etwas zu verfolgen gab. Kinga murmelte weiter, Bartosz schien sie überreden zu wollen, zurück zur Feier zu gehen, alles langweilig, alles schon Abspann – als Kröger plötzlich, ein paar Meter versetzt, an die Wand einer Seitengasse gedrückt, eine schmale Silhouette wahrnahm. Den Oberkörper vorgebeugt, hatte sie die Arme eng um sich geschlungen. Trotz der Dunkelheit hätte Kröger schwören können, dass sich eine Zornesfalte tief in das zarte Gesicht gegraben hatte, die untrüglich anzeigte, dass sich der gesamte zierliche Körper kurz vor dem Zerplatzen befand. Renia bebte.

7.

    Es waren einmal zwei Brüder, die nach langem Streit Stein und Mörtel in die Hand nahmen und eine Mauer zwischen sich errichteten. Keiner von beiden – weder Konrad Mischa noch Marian Mysza – war bereit gewesen, auf die elterliche Wohnung zu verzichten, und so wurde mit einem Stück weißer Schulkreide auf dem Dielenfußboden die Grenze verzeichnet.
    Der erste Ziegel der Mauer wurde früh am Morgen gesetzt. Mitten durch den Flur und das alte Wohnzimmer verlief die Trennwand: Einzig die Küche würden die Frauen sich teilen, das, hatten die Männer beschlossen, ginge leider nicht anders, wollten beide Familien warme Mahlzeiten zu sich nehmen.
    Konrad Mischas Beschwörungen, dass sie gegen den Willen des Vaters handeln würden, wurden nicht erhört. Weder Marian noch Magda Mysza wollten etwas davon wissen, dass er Marian enterbt oder gar verstoßen hatte; der einzige Kompromiss, auf den man sich also einigen konnte, war, die Tischlerei Konrad zu überlassen, den Rest aber brüderlich aufzuteilen.
     
    Wenige Tage vorher, auf der Beerdigung Kazimierz Myszas, hatten sich beide Familien zusammengefunden. Marian war mit seiner Frau Agnieszka ein paar Schritte hinter Konrad und Lilli zurückgeblieben. Vor Betretendes Friedhofes hatte Agnieszka Marian gefragt, ob es ihm wirklich recht sei, dass sie mitkam, aber Marian hatte nur genickt, sie am Ellenbogen gefasst und hinüber zum ausgehobenen Grab geleitet. Konrad hatte sie nicht begrüßt, er hatte nicht einmal den Kopf gewendet.
    Die roten Nelken, die Magda Mysza ins Grab hinabwarf, leuchteten hell gegen das dunkle Eichenholz auf. Ohne sich anzusehen oder sich gar zu umarmen, fuhren sich die Brüder heimlich über ihre Augen.
    Das hätte ihn sehr stolz gemacht, flüsterte Magda. Zu wissen, dass er als Städter sterben würde.
    Tot ist tot, sagte Konrad,

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