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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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paar von den mittäglichen Piroggen abzuholen, die Bronka regelmäßig vorbeibrachte. Die Nähe zum Varieté war einfach zu verlockend. Auch Arkadiusz war so gut wie täglich in der Pfandleihe, und das, obwohl wir vereinbart hatten, dass er uns nur an zwei, drei Tagen behilflich sein würde. In Wirklichkeit ging es ihm garnicht um das bisschen Geld, das er bei uns verdiente, und vielleicht nicht einmal um die Wertschätzung seiner Arbeit oder Erfahrung. Immerhin hielt eine Pfandleihe keinem Vergleich mit einem Antiquitätengeschäft stand, das ließ er uns immer wieder mit einer freundlichen Verachtung spüren. Aber er suchte Gesellschaft – mit irgendjemandem musste er schließlich die Geschichten teilen, all das Wissen, das sich in den Jahren angestaut hatte.
    Deshalb hatten weder Bartosz noch ich an jenem Tag gleich hochgeschaut, als das Glöckchen an der Tür klingelte und ein junger Mann unser Geschäft betrat. Ich war davon ausgegangen, dass Przemek seine Tasse vergessen oder noch etwas auf dem Herzen hatte, und Bartosz war dabei, seine Bankunterlagen zu sortieren. Auch Arkadiusz, der gerade den Wert eines Bernsteincolliers schätzte, ignorierte ihn zu Anfang. Er war in eines seiner Selbstgespräche versunken.
    Ein Bernstein wie dieser, sagte er, hat den Namen wenigstens verdient. Elektron, Hellgold, wie die alten Griechen es genannt haben. Das Gold der Götter. Wusstet ihr, dass Aristoteles höchstpersönlich die Bernsteininseln aufgesucht haben soll? Kinga, das musst du doch wissen. Die Elektriden liegen bei euch vor der norddeutschen Küste. Heißen heute aber anders. Und bei den Römern war ein Stück der gelben Ambra teurer als ein Sklave, stellt euch nur mal vor. Am Hofe des Kaisers Nero …
    Arkadiusz, wir haben Kundschaft.
    Ich räusperte mich und nickte dem jungen Mann zu. Arkadiusz blickte kurz auf, aber die Ärmlichkeit unseres Gastes ließ ihn sofort wieder seine Lupe ins Auge klemmen und die Steine untersuchen, die die Front des Kleinods schmückten.
    Guten Tag, sagte Bartosz. Können wir Ihnen helfen?
    Als wolle er sichergehen, dass ich seine vorbildliche Begrüßung auch wahrgenommen hatte, stieß er mich in die Seite und wies, unserem Kunden zugewandt, auf den Besucherstuhl. Der junge Mann nahm seine Mütze ab und blickte mit hellen Augen erst auf Bartosz, dann auf Arkadiusz. Die Mütze hatte einen Abdruck auf seiner Stirn und zwei Flächen verschiedener Röte hinterlasssen. An der Oberlippe hatte er eine kleine Narbe, die von einer operierten Hasenscharte herrühren mochte.
    Guten Tag, antwortete er schließlich. Seine rechte Hand spielte unablässig mit dem Reißverschluss seines Mantels. An den Ärmeln und am Kragen klebten Spinnweben, in die sich Staub verfangen hatte. Für einen Moment schloss ich meine Augen und sah schließlich eine Wand vor mir, alte Backsteine, jede Menge Staub und Zeitungspapier. Ich hörte die laute Stimme einer Frau, ein paar Männerstimmen, die einfielen, und schließlich sah ich ein Bündel, das auf einem Tisch lag, beleuchtet von einer nackten Glühbirne.
    Bartosz sah mich fragend an, aber ich zuckte mit den Schultern. Noch ließ sich nichts feststellen. Vielleicht hatte sich der Mann bloß in der Tür geirrt und wollte eigentlich seinen Mantel reinigen lassen. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und fuhr mir über den Mund.
    Anscheinend war der junge Mann sich nicht ganz sicher, wer von uns dreien das Sagen hatte, denn als er anfing zu sprechen, wandte er sich Arkadiusz zu.
    Ich habe etwas gefunden. In meiner Wand. Meine Freundin hat gesagt, es ist bloß Quatsch, aber ich dachte, ich bringe es mal vorbei, ich meine, es ist ganz dreckig, und man erkennt kaum etwas darauf, aber ein paar Zƚoty, habe ich gesagt, wird man dafür doch vielleicht bekommen! Oder etwa nicht?
    Bartosz fühlte sich nicht ganz ernst genommen, das sah ich. Seine rechte Hand hatte sich unter dem Tisch um ein Stuhlbein verkrampft, und als er sie kurz löste, um näher an den Tisch heranzurücken, sah ich, dass sie zitterte. So gut wie möglich versuchte er, seine Irritation zu kaschieren, und fragte nach, worum es sich denn genau handle. Er müsse übrigens seinen Kollegen entschuldigen – er zeigte auf Arkadiusz am Schreibtisch gegenüber –, wenn der beschäftigt sei, könne ihn nichts in seiner Konzentration stören.
    Jetzt setzen Sie sich doch, fügte ich hinzu. Und dann erzählen Sie uns, was Sie aus Ihrer Wand gezogen haben.
    Der Mann nahm zögerlich auf dem Stuhl Platz,

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