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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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wie der Tag so gelaufen ist.
    Kinga schwieg. Warum sollte er mitten in der Nacht bei seinen Eltern gewesen sein und sich mit ihnen gestritten haben? Außerdem hatte er doch von draußen gut sehen können, dass kein Licht mehr in der Wohnung brannte. Bartosz druckste herum, und so bot sie ihm, langsam ungeduldig geworden, eine Tasse Tee an. Als sie sich in die Küche setzten, erzählte sie ihm vom Tag in der Pfandleihe. Einige Stunden später, sie wusste nicht, wie sie dorthin gelangt war, wachte sie in ihrem Bett auf, den schalen Geschmack des Tees noch immer auf der Zunge.
     

    Es muss am ersten Wochenende gewesen sein, als man keine Mütze mehr tragen musste und sogar erwägen konnte, den obersten Knopf seiner Jacke zu öffnen, dass Renia und ich samt Picknickkorb, mehreren Decken und Thermoskannen vor der Wohnung standen und auf Bartosz warteten, der sich mal wieder verspätete. Wir hatten uns für neun Uhr verabredet, immerhin war es Samstag und man musste davon ausgehen, dass wir nicht die Einzigenwaren, die auf die Idee kamen, einen Ausflug auf die Halbinsel vor der Bucht zu unternehmen. Bartosz hatte mit den Augen gerollt, als ich den Vorschlag gemacht hatte: Auf so eine Idee könne auch nur ich und so weiter, aber ich hatte mich durchgesetzt.
    Der Ausflug hatte uns allen guttun sollen, die Luft, die Weite des Meeres, ein bisschen Zeit allein und nicht immerfort mit irgendetwas beschäftigt. Schlimm genug, dass Albina und Rokas nicht mitkommen wollten – aber immerhin hatten sie sich ihre Vorwürfe verkniffen, und so eiste ich mich los und fuhr weg. Bartosz kommentierte, dass für die beiden sowieso kein Platz mehr im Auto gewesen sei, jedenfalls nicht, wenn Cudny mitkam, und das stand außer Frage. In der Jackentasche hatte ich etwas Katzenfutter für den Mischling mitgenommen – nur für den Fall, dass ich neben ihm sitzen würde und mich gut mit ihm stellen musste.
    Aber Bartosz ließ auf sich warten. Ich befürchtete schon, dass es ihm schlechter ging, als er zugegeben hatte, und dass er es vorzog, den Tag allein in seiner Wohnung oder auf einem seiner Streifzüge zu verbringen. Renia gähnte und schenkte sich aus einer der Thermoskannen einen Becher Kaffee ein. Sie nahm einen Schluck und reichte mir die Tasse.
    Wie hat der eigentlich Soldat sein können, mit diesem Zeitgefühl?
    Vielleicht ist es ihm ja einfach zu früh. Und dann muss er noch den Hund verpflegen … Renia gähnte erneut, dieses Mal aber so laut, dass eine Amsel erschrocken aus der Hecke neben uns aufflog. Ich nahm ihr die Tasse aus der Hand und sah ihr ins Gesicht, sie lächelte, aber
     
    die Stadt war in mir, und ich verdiente Geld und ging und saß und schlief und arbeitete, und von Zeit zu Zeit dachte ich an Großmutter: Lange bevor sie gestorben war, hatte sie von der Gefräßigkeit der Stadt und deren unmäßigem Appetit auf Menschenmaterial erzählt. Niemals, niemals könne sie sich zufriedengeben, jedes Jahrzehnt, jedes Jahr wieder verlange sie nach Fleisch, nach Muskeln Knochen Sehnen Seelen, am besten sei es, man halte sich von ihr fern. Damals hatte ich sie ausgelacht – wie kann das denn sein, Omalein, eine Stadt –, aber dann war alles anders, nach einiger Zeit, Großmutter schwieg und verlor kein Wort mehr über mich oder die Stadt, ich nahm das als ein gutes Zeichen, als eine Art Zustimmung, die keine Worte brauchte, aber je mehr Zeit verstrich, desto öfter erinnerte ich mich daran, was Großmutter einst gesagt hatte, über die Stadt, und obwohl sie mit dem Wandel der Dinge zufrieden schien, glaubte ich immer mehr, dass es sich tatsächlich so mit der Stadt verhielt, wie meine alte Dame gesagt hatte, vor vielen Jahren, in der Küche auf dem Bauernhof in Dydów.
    Sie nämlich, die Steinerne, Zerstörte, Auferstandene, sie fraß und nagte an jedem, der eine Schwäche offenbarte, dies hier war kein Ort für Schwache und für schwache Nerven schon gar nicht, zu viele Tote, zu viele Geschichten, zu viel für eine alleine, die dasitzt und ihren Job macht, und plötzlich gibt es kaum mehr Lebendige, nur noch den ersoffenen Besitzer eines Motorboots, kaum zwei Monate hatte er es, da hat es ihn schon abgeworfen und in der Bucht versenkt, wie böse der war auf seinen Sohn, richtig in mein Ohr geschrien hatte der; das Plärren des Kindes, das aus dem fünften Stock gefallen war, kein Wort war aus ihm herauszubekommen,
gejammert, richtig gejault hatte es wie ein Tier, dem man auf den Schwanz getreten war, und zwischen dem Geheule

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