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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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Europa. Weiter unten, gleich beim Bankhead Tower am Anfang der Government Street, befand sich einst der offene Sklavenmarkt, wo Schwarze gekauft und verkauft, Familien für immer auseinandergerissen und flussaufwärts zur Fronarbeit in Plantagen und Docks verschleppt wurden.
    «Schön, oder?» Cyrus unterbrach Raff in seiner Träumerei.
    Raff setzte sich, und zwei Kellner brachten ihnen Wasser und Speisekarten, während sie leise in einer fremden Sprache miteinander sprachen. Es war Spanisch. Das ist neu hier, dachte Raff.
    Dann aßen sie. Es gab Krabben-Gumbo und Caesar-Salat mit Hummer, und zwar die stachelige Sorte aus derKaribik und nicht die Hummer aus dem Norden mit den Riesenklauen.
    Sie unterhielten sich zunächst über Raffs Studium in Harvard und seine Eindrücke vom Alltag dort, zeitweise unterbrochen von Cyrus, der zum Vergleich seine eigenen Erfahrungen von der juristischen Fakultät an der University of Alabama anführte.
    Die Kellner brachten Kaffee und Nachtisch, Letzteres eine Kreation mit Schokolade und Brandy, die Raff nicht genauer zu bestimmen versuchte. Cyrus zog aus der Innentasche seines Sakkos eine Havannazigarre, packte sie aus und zündete sie an. Er nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch in einem wohlgeformten Ring Richtung Decke, wie er es gewohnt war; dann sah er sich nach einem Aschenbecher um. Es gab keinen Aschenbecher. Cyrus erinnerte sich: die waren im Cosmopolitan Club inzwischen eine Seltenheit. Die jüngeren Vertreter im Vereinsvorstand sprachen sogar davon, den Cosmopolitan Club vollständig rauchfrei zu machen. Einer hatte dazu angemerkt: «Was soll daran so radikal sein? Früher standen in diesem Club überall Spucknäpfe herum für den Kautabak. Wollen Sie die etwa wiederhaben?»
    Die noch rauchenden Gäste benutzten häufig die Untertassen als Aschenbecher. Cyrus aber hätte einen solchen Fauxpas nie begangen. Er winkte einem Kellner und deutete auf seine Zigarre, und sogleich brachte man ihm einen Aschenbecher.
    «Vielleicht sollte ich in Zukunft meinen eigenen mitbringen», witzelte er.
    Dann wandte er sich an Raff und kam zum Wesentlichen.
    «Und, hast du schon Pläne? Was hast du vor? Ich kann dir jedenfalls sagen, ich und viele unserer Freunde hier hoffen, dass du, egal, was du machst, dich nicht zu weit weg von Mobile verirrst.»
    Raffs Anspannung stieg. Er hatte seine Antwort mehrmals geprobt, und er hatte keine Ahnung, was die Reaktion sein würde.
    «Ja, Sir, ich weiß, das wird wahrscheinlich eine Überraschung sein. Ich habe ein paar ganz tolle Angebote von auswärts bekommen, mehr, als man vielleicht erwarten würde. Aber ich habe eine ganz bestimmte Vorstellung: Ich möchte hier in Mobile als Justiziar für die Sunderland Associates arbeiten. Und ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, dass du deswegen vielleicht mit Mr. Sunderland sprechen könntest, außer, das ist ein Problem für dich.»
    Wie er wusste, waren die beiden Männer nicht nur geschäftliche und politische Partner, sondern auch durch andere Bande miteinander verbunden, die im Alten Süden noch immer sehr wichtig waren. Die Semmes aus Mobile waren mit den Sunderlands seit vier Generationen gesellschaftlich verbandelt. Zusagen, Abschlüsse und Abmachungen schufen gegenseitige Verpflichtungen – zumal, wenn sich irgendwann einmal die Familiengeschichten durch Heirat miteinander verknüpft hatten.
    Cyrus erstarrte, beugte den Kopf vor und blickte Raff erstaunt an. Bei seiner Antwort bemühte er sich, leise zu reden, damit die anderen in dem überfüllten Raum ihn nicht hören konnten.
    «Ist das dein Ernst? Oder ist das irgend so ein Harvard-Witz?»
    «Ja, das ist mein voller Ernst.»
    «Weißt du eigentlich, was du da sagst? Du weißt sogut wie ich – wir haben ja vor ein paar Jahren ausführlich darüber gesprochen –, dass Drake Sunderland bitter entschlossen ist, den Nokobee Tract zu kaufen und zu erschließen, wenn er auf den Markt kommt. Ihm gehört schon die wichtigste Parzelle am Dead Owl Cove. Willst du mir sagen, dass du ihm
helfen
willst?»
    «Ich sage dir, dass ich für ihn arbeiten möchte.»
    «Aber warum denn? Wie kannst du das mit Anstand tun?»
    «Ich sage dir, dass ich das wie ein Ehrenmann und zu jedermanns Befriedigung tun kann,
und
außerdem womöglich noch den Nokobee Tract rette.»
    Und damit verstummte Raff. Er nahm einen Schluck Kaffee. Weiter wollte er sich nicht in die Karten sehen lassen.
    Cyrus wandte sich um und sah eine Weile schweigend aus dem Fenster; er versuchte

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