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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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Klappmesserin der Tasche, das er geradezu zwanghaft mit einem kleinen rechteckigen Wetzstein schliff. Im Handschuhfach seines Pickups hatte er immer eine .22er Pistole, «als Ausgleich», wie er sagte. Genauso konnte er plötzlich einen verbotenen Totschläger hervorzaubern, das Versteck konnte Raff allerdings nie finden. Sollte Ainesley jemals in die Lage geraten sein, sich wirklich selbst verteidigen zu müssen, so sollte Raff davon jedenfalls in den kommenden Jahren nie etwas zu hören bekommen.
    Raff kratzte noch einen großen Happen Eis vom Boden des Bechers und fürchtete schon, die Pause, die sein Vater einlegte, bedeutete, dass er sich zum Gehen fertig machte. Aber da fing Ainesley schon wieder an zu reden.
    «Und noch etwas», sagte er. «Begegne anderen Menschen mit dem nötigen Respekt. Da gibt es hier unten etwas, was ein Gentleman einfach tut, was sie anderswo nicht tun. Du triffst einen anderen, er arbeitet in einer Tankstelle, und du fragst ihn, ‹Entschuldigung, aber können Sie mir sagen, wo die und die Straße ist?› Und dann sagt er ‹Yessir, kann ich.› Er sagt
nicht
etwa ‹Yes, Sir, kann ich.› Er sagt nicht
‹Yes, Sir
!› Schließlich ist er nicht dein Diener. Er sagt ‹Yessir, kann ich› oder ‹Nosir, die kenne ich selber nicht›. Das heißt, er ist höflich, aber er ist auf einer Augenhöhe mit dir, und du zeigst ihm das auch, du redest genauso mit ihm. Nur ganz besonders extra-höflich bist du mit Leuten, denen das zusteht. Deshalb wollen deine Mom und ich, dass du zu Erwachsenen Sir und Ma’am sagst, und deshalb sagen wir selbst das zu alten Leuten auch.»
    Ainesley zündete sich eine dritte Zigarette an, verstummte wieder und winkte mit der Hand ab, als wollteer sagen
So, das wär’s
, als wären seine Ausführungen etwas weit gegangen und als fürchtete er, Raphael könnte ihn deshalb jetzt weniger respektieren. Er kramte ein paar Münzen aus der Hosentasche und legte sie als Trinkgeld auf den Tisch, drückte die Zigarette aus und stand auf, um zu gehen. Dann blieb er hinter seinem Stuhl stehen und blickte durch das Fenster auf den Parkplatz, auf dem es gar nichts Besonderes zu sehen gab außer vielleicht einen schillernden Ölfleck unter dem nächststehenden Laster, und dann sagte er noch etwas, sanft diesmal und mit einem Hauch von Bitterkeit.
    «Das will ich an dich weitergeben, Scooter. Sie können dir dein Geld wegnehmen, sie können dir die Freiheit nehmen, sie können hinter deinem Rücken über dich lachen, aber wenn du so ein Mann bist, wie ich es dir beizubringen versuche, nicht so ein weibischer Mann, der überall herumflennt und vor jedem Ärger kuscht, dann können sie dir das jedenfalls nicht nehmen, und deshalb werde ich an dir dranbleiben, selbst wenn es manchmal so aussieht, als würde ich dich ein bisschen zu fest anpacken.»
    Raff glaubte ihm von ganzem Herzen. Er erinnerte sich an früher. Wenn er sich als kleines Kind das Knie aufschürfte und anfing zu weinen, sagte Ainesley: «Hör auf, sei ein kleiner Mann.»
    Kaum mehr erinnern konnte er sich an eine andere Situation – da war er vielleicht drei Jahre alt und schlief aus irgendeinem Grund, den er vergessen hatte, neben seinem Vater. In der Nacht wachte er einmal auf und wollte zur Toilette, aber Ainesley sagte: «Halt es aus, warte bis zum Morgen, wie ein kleiner Mann.»

5

    A m nächsten Sonntag war Marcia dran. Sie ließ Raff lange ausschlafen, dann öffnete sie geräuschvoll die Tür und trat in sein Zimmer. Sie summte vor sich hin, während sie das Rollo vor dem einzigen Fenster öffnete und sein Bett im Sonnenlicht baden ließ. Sie hielt inne und lehnte sich vor, um das Vogelhäuschen zu betrachten, das an der Kräuselmyrte vor dem Fenster hing. Wahrscheinlich saß das Eichhörnchen auf der Futterplatte, und die Vögel hockten rundum in den Zweigen und warteten, bis das Ungeheuer weg war. Ganz selten einmal, wenn es nicht regnete und Raff nicht in der Schule oder draußen unterwegs war, saß er auf einem Stuhl und beobachtete, wie die Vögel an- und abflogen – vor allem Spatzen, Blauhäher und Kardinäle, aber bisweilen auch Purpur-Grackeln. Ainesley hatte ihm angeboten, das Eichhörnchen umzulegen und den Vögeln mehr Zeit zum Fressen zu verschaffen, aber Marcia verbot ihm empört, das Tier zu bedrohen, das doch fast schon zur Familie gehörte.
    Marcia stieß ans Bett und zog Raff die dünne Wolldecke halb vom zusammengekauerten Körper.
    «Zeit zum Aufstehen, Scooter. Wir gehen in die

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