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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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es dir in deinem Alter besonders viel Spaß machen würde, einen Truthahn zu erlegen. Es ist mir egal, dass Junior bereit war zu schießen und du nicht. Er ist älter und viel größer als du, und ganz ehrlich, im Vergleich zu dir ist er wirklich sturzdumm.»
    Den Mund voller Eis, nickte Raphael und dachte, ja, stimmt. Junior war letztes Jahr sitzengeblieben und ging noch immer erst in die vierte Klasse. Da musste er jetzt ein weiteres Jahr disziplinarische Folter in Mrs. Maddons Klasse durchstehen. Die nicht mehr ganz junge Frau mit den kalten Augen hinter ihrer Brille und den zum Knoten gebundenen grauen Haaren war streng und äußerst reizbar. Außer ihrer Hörweite nannten ihre Schüler sie Mrs. Mad Ox.
    Ainesley fuhr fort: «Eigentlich wollte ich dich gestern gar nicht dazu bringen, dass du anfängst, Wild zu jagen. Kann sein, dass du das auch später nicht besonders magst, wenn du älter bist. Keine Ahnung. Ich wollte nur versuchen, dir Dinge zu zeigen, die du brauchst, wenn du später ein echter Mann sein willst, nicht so ein weibischer Mann, wie sie heutzutage überall herumlaufen.»
    Er unterbrach sich, damit Raff Zeit hatte, seine Worte zu verarbeiten, und – Raff ahnte es schon – um sich eine Zigarette anzuzünden. Ainesley war noch nicht fertig mit seiner Predigt, da war er sicher. Egal. Angst und Reue fielen allmählich von ihm ab. Ihm war vergeben worden. Zum ersten Mal sah er seinem Vater direkt ins Gesicht – er war braun gebrannt, Falten umgaben seinen Mund, und die blauen Augen blickten jetzt traurig drein.
    Ainesley nahm einen tiefen Lungenzug und wandte den Kopf ab, um den Rauch zur Seite zu blasen. Mit dem Mittelfinger wischte er einen Tabakskrümel von seiner Lippe und sprach weiter. «Wahrscheinlich weißt du gar nicht, was ich meine, deshalb erkläre ich es dir noch ein bisschen genauer, damit du was zum Nachdenken hast. Und vielleicht denkst du mit der Zeit auch immer wieder darüber nach, und dann verstehst du, wie ich empfinde.»
    Wie
er
empfindet?, dachte Raff. So langsam kroch ihm doch wieder die Angst in den Nacken.
    «Wie du weißt, bin ich nicht so gebildet wie deine Mutter und Onkel Cyrus. Du bekommst ganz bestimmt eine Ausbildung wie sie, und das finde ich wirklich gut so. Aber ich will, dass du so aufwächst, dass du in einem wichtigen Punkt so wirst wie ich. Wenn du auf dich selbst gestellt bist, möchte ich, dass du aufrecht und gerade dastehst und ein Mann bist, den alle respektieren, egal, wie viel Geld er hat oder wie viel verrückte Titel oder was auch immer.
    Also, und was heißt das jetzt? Das heißt Ehre. Das heißt, du hältst dein Wort, du zahlst deine Schulden, du übernimmst Verantwortung, du gibst dein Bestes, auch wenn es manchmal schwierig ist. Und du redest nicht darüber, du behältst es für dich. Die Leute kennen dichund arbeiten mit dir, sie brauchen von dir keine Zusicherungen. Sie wissen, dass sie sich auf dich verlassen können – immer, und nicht nur, wenn
dir
danach ist. Verstehst du das?»
    Raff sagte «Yes Sir», und schob sich noch einen Löffel Eis in den Mund; die Karamellsoße war köstlich.
    «Aber ein Mann zu sein, heißt noch mehr», fuhr Ainesley fort. «Das heißt auch, dass man ein Gentleman ist. Wir haben bei uns ein paar Grundsätze, einen Ehrenkodex, über den andere Leute vielleicht lachen, die in großen Häusern wohnen und in den Ferien nach Italien und so fahren. Darüber würde ich zum Beispiel mit deinem Onkel Cyrus kein Wort verlieren, obwohl ich ihn ansonsten sehr schätze. Aber da geht es um die Welt, in der ich lebe. Vielleicht findest du, dieser Ehrenkodex ist zu grobschlächtig, vielleicht findest du ihn zu simpel, aber er passt eben zu den Dingen, wie sie sind, und mir passt er auch. Hör zu. Du darfst niemals lügen oder betrügen. Niemals eine Frau schlagen. Nie einen kleineren Mann schlagen, wenn du es vermeiden kannst, Raff. Nie als Erster zuschlagen, aber nie
klein beigeben
, wenn du weißt, dass du im Recht bist.»
    Er hielt inne, nahm einen Schluck Kaffee, drückte seine halb heruntergebrannte Zigarette aus und zündete eine andere an. Raff fragte sich, wie ein Mann vom kleinen Wuchs seines Vaters sich anstellen würde, wenn er je von jemandem geschlagen wurde, besonders von einem Größeren. Sein Vater war keine 1,70 Meter groß und wog nur sechzig Kilo, und auch das nur «triefnass», wie er gerne sagte.
    Später sollte Raff erfahren, dass das freilich nur eine theoretische Frage war. Ainesley hatte ein langes

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