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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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verletzen. Sogar mit einem Schraubenzieher. Oder einem Stift, verdammt. Raff muss eben nur ein bisschen vorsichtig damit umgehen. Er muss wenigstens ein bisschen was über Waffen lernen. Und er muss einmal ein bisschen Verantwortung für solche Dinge übernehmen können.»
    Raff schlich sich aus dem Zimmer und überlegte, wo er seinen Schatz verstecken könnte, falls dieser Streit nicht gut ausging.
    «Ich habe es dir schon tausendmal gesagt», ging Marcia wieder auf Ainesley los, «ich will nicht, dass er aufwächst wie ein Rohling. Ich will, dass Raff später einmal ein besseres Leben hat, und da ich gerade dabei bin, ich will, dass er, an einem besseren, sichereren Ort lebt als hier in der Gegend.»
    «Du meinst, du willst bei deiner verdammten schicken Familie in Mobile wohnen. Meine eigenen Leute sind dir nicht gut genug.»
    Dann riss Ainesley sich zusammen. Sie konnten es sich nicht erlauben, in die Luft zu gehen, wenn Raff in Hörweite war und der Streit sich außerdem noch um ihn drehte.
    «Ich weiß, was du fühlst», sagte er, «und ich verstehe das hier nicht als Angriff auf mich. Aber lass mich eines fragen, denk mal vernünftig nach. Wir wohnen hier und nicht unten in Mobile, und in Clayville sorge ich für unseren Lebensunterhalt.»
    Marcia presste die Lippen zusammen, sie rang um Fassung und suchte nach der passenden Antwort.
    Als Ainesley sah, wie sie zögerte, setzte er noch eines drauf. «Schau mal, jeder zweite Junge in Scooters Alter hat hier in Clayville ein Luftgewehr wie das hier. Wenn wir im Zentrum von Mobile wohnen würden, wäre das vielleicht anders, aber wir wohnen hier in Clayville, und Scooter hat ein Recht darauf, normal aufzuwachsen wie die anderen Jungs.»
    Eine Weile ging es so weiter mit Ainesley und Marcia, und langsam beruhigten sie sich wieder. Unterdessen war Raff in seinem Zimmer außer Hörweite, er untersuchte die Red Ryder, spürte, wie gut sie in der Hand lag, überlegte, was das alles bedeutete.
Soldat in der Armee, Sergeant –nein, sagen wir Captain – Raphael Cody. Ein Scharfschütze, der feindliche Soldaten wegbläst, daneben rattern die Maschinengewehre. Ein Jäger in Schussnähe eines Zehnenders, seine Jagdfreunde bewundern ihn, beobachten genau, wie er ganz … vorsichtig … zielt. Ein Mann mit Macht, ein Held.
    Nach einer weiteren halben Stunde mit Diskussionen, Vorwürfen, Pausen und vielem Hin und Her fanden seine Eltern einen Kompromiss und riefen ihn zu sich. Raff durfte das Gewehr behalten, wenn er damit nur auf Zielscheiben am Gartenzaun schoss, und das, wenn sein Vater dabei war.
    Direkt nach dem Essen war Raff mit seiner Red Ryder draußen im Garten. Ainesley zeigte ihm den einfachen Mechanismus, mit dem man ein Luftgewehr abfeuerte. Die Kugeln in das Magazin stecken, Feder spannen, zielen, Abzug betätigen, Feder spannen, zielen, schießen. Das ging bis zu 650 Mal, bevor man nachladen musste.
    Raff wurde der Vorgang rasch zur Routine. Die verbliebene Scham über den Vorfall bei der letzten Truthahnjagd schmolz ganz dahin, als sein Vater ihn jetzt anleitete. Und der letzte Rest Angst war auch bald verschwunden. Er empfand tiefes Vergnügen dabei, einfach auf einen Abzug zu drücken und dann zu sehen, wie die Kugel fernab irgendwo einschlug. Er konnte so auf eine Art Einfluss ausüben, wie er es noch nie erlebt hatte. Und das noch zielgenau, sehr viel besser als mit einer Steinschleuder.
    Am nächsten Tag übte er weiter, diesmal ohne Ainesley und nur, solange Marcia in ausreichender Entfernung von der Hintertür mit etwas beschäftigt war. Er zielte immer besser. Wie sich herausstellte, war Raff ein geborener Schütze. Er kam sich vor wie einer der adleräugigenSüdstaatler alter Zeiten, von denen ihm Ainesley immer erzählt hatte.
    Raphaels Phantasie entführte ihn bald schon von der Red Ryder im Garten zur Red Ryder am Nokobee. Jetzt konnte er ein echter Jäger werden! Vielleicht musste er ja nicht wirklich töten, einfach nur betäuben und wieder zu sich kommen lassen. Am Nokobee gab es jede Menge kleine Tiere, die so flüchtig und schnell waren, dass man sie mit der Hand fast unmöglich zu fassen bekam. Fünfstreifen-Skinks etwa und Sechsstreifen-Rennechsen, die Sprinter unter den Eidechsen, waren so flink, dass sie im Grunde sofort, wenn man sie erblickt hatte, schon wieder weg waren – wie vom Erdboden verschluckt unter einem Holzhaufen oder einem undurchdringlichen Dickicht. Rotkehlanolis sah man meist hoch oben auf Baumstämmen. Wie

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