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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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Eichhörnchen flitzten sie auf die andere Seite und dann nach oben, bevor man nah genug war, um sie zu packen. Wasserschlangen konnten auf der Stelle ins seichte Wasser gleiten, wenn man auf nur drei Meter herankam, und meistens sah man sie danach nie wieder.
    Die Fluchtstrategien waren erblich. Millionen Jahre lang waren ihre Vorfahren von Jägern verfolgt worden, die sehr viel schneller waren als Raff. Nur wenige dieser Experten in Wachsamkeit und Flucht waren von Menschen jemals ohne Hilfsmittel eingefangen worden. Jetzt aber konnte Raff sie vielleicht erwischen, wie er wollte, und sie in Händen halten, um sie aus der Nähe zu erforschen.
    Raff sagte seiner Mutter, er wolle seine Red Ryder nach Clayville mitnehmen und sie seinen Freunden zeigen. Er bot ihr an, zum Pfand die Munition dazulassen,die kleinen Stahlkugeln. Unerwähnt ließ er das zusätzliche Magazin, das in seiner Hosentasche steckte.
    Als sie widerstrebend zustimmte, legte Raff das Gewehr quer über den Lenker seines Fahrrads und fuhr aus der Auffahrt. Er bog in Richtung Atmore Street und Innenstadt ab, für den Fall, dass Marcia ihm vom Fenster aus nachsah. Bei der ersten Straßenecke, an der er vom Haus aus nicht mehr zu sehen war, bog er rechts ab, fuhr eine Straßenkreuzung weiter und dann immer Richtung Nokobee. Nach fünfundzwanzig Minuten anstrengender Fahrt kam er an den Trailhead.
    Wie immer um diese Tageszeit war sonst niemand am Dead Owl Cove. Raff wanderte den Pfad am Westufer des Sees entlang und von da aus in den Wald hinein. Er ging aufrecht, blickte aufmerksam um sich. Mit beiden Händen umklammerte er die Red Ryder, immer bereit zum Spannen und Schießen. Jetzt überkam ihn die Trance des Jägers, sein Blick schweifte wach nach vorn und hinten, nach oben und unten, seine Augen waren immer gefasst auf irgendein Anzeichen eines Tieres, das sich als Ziel eignen würde. Ein riesiger Gelbling – schon mit einem Netz schwer zu fangen – flatterte vor ihm über den Weg und landete auf einem blühenden Busch. So groß und auffällig er auch war, Raff achtete nicht auf ihn. Vor ihm begann plötzlich ein Schwarm Krähen lauthals zu zanken. Ihr Gekrächze war dem pirschenden Jäger gleichgültig.
    Ein Skink tauchte auf und rannte ein kurzes Stück über den Weg, bevor er innehielt. Ein Ziel! Raff erstarrte. Langsam und vorsichtig hob er das Gewehr an. Aber die kleine Echse, die seine Bewegungen aufmerksam verfolgte, rannte ins Bodengestrüpp und verschwand.
    Weiter hinten auf dem Weg sah Raff einen Rotkehlanolis auf dem Stamm einer kleinen Kiefer sitzen. Es war ein großes Männchen, das seine hellrote Kehlfahne auf- und abspreizte, die instinktive Reaktion eines Männchens, das sein Revier verteidigt. Mit viereinhalb Metern Abstand war er ein perfektes Ziel. Raff drehte sich um, so dass er dem Ziel den Rücken zuwandte und seine Bewegungen unsichtbar waren. Er spannte die Feder, drehte sich langsam zurück, zielte genau hinter die Vorderbeine der Echse und schoss. Der Anolis schnellte hoch und fiel zu Boden. Raff rannte hin und legte ihn sich in die offene Hand. Er untersuchte ihn genau, zog die rote Kehlfahne auf und ließ sie wieder einklappen. Hinter der linken Schulter war ein kurzer Riss, und die Haut bildete einen kleinen Wulst. Offenbar hatte die Kugel nur halb getroffen und war dort abgeprallt. Raff war sich nicht sicher, ob die Echse tot war oder nur betäubt. Er legte sie sanft auf den Boden und machte sich auf die Suche nach weiteren Trophäen. Doch es waren keine Kandidaten mehr zu finden, und nach einer Stunde fuhr Raff nach Hause.
    Bei seinen nächsten Ausflügen verbrachte Raff die meiste Zeit damit, Dutzende Salamander zu betäuben oder zu töten, kleine Schlangen und auch einen Baumfrosch, den er von einem Kiefernzweig holte, an den er mit der Hand nicht hinaufreichte. Seine Opfer suchte er in den verschiedenen Bestimmungsbüchern heraus, die er zu Hause hatte. Als er schließlich dieses Gemetzel satthatte, wandte er sich Sperlingen und anderen kleinen Vögeln zu, doch dieses Unterfangen blieb dauerhaft erfolglos. Die Ziele waren in ständiger Bewegung. Sie waren zu weit weg, und aus Entfernungen, die fürihn überwindbar waren, zeigten die kleinen Stahlkugeln dank des Schutzschildes aus dicken Federn keine besondere Wirkung.
    Raff mühte sich immer weiter, einen Vogel zu töten oder wenigstens einzufangen. Endlich fand er ein ideales Ziel. Es war ein winziger goldgelber Waldsänger, der in einem sumpfigen Teil des

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