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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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Reaktion ab und fingen an, sich im Nahkampf zu verteidigen. Doch das war zu spät und zu wenig für die unglücklichen Verteidiger. Die Horde der Invasoren war inzwischen unaufhaltsam. Im Lauf eines einzigen Tages wälzte sich eine Woge tödlicher Kämpfe über die Zugangswege zum Streamside-Nest. Die Kieferwerkzeuge, in Zeiten von Frieden und Wohlstand die Hände der Ameisen, dienten nun als Kriegsschwerter, und die überwältigende Überzahl der Invasoren aus der Superkolonie brachte sie hemmungslos zum Einsatz. Die Stacheln, durch die die uralten Vorfahren, die Wespen, Eier legten, waren nun vergiftete Dolche im Dienste von Plünderung und Krieg.
    Nach wenigen Stunden war der Boden bedeckt mit ausgerissenen Gliedern und toten und verletzten Ameisen aus beiden Lagern. Der Nachschub an Kämpfern war bei der Streamside-Kolonie, wie bei ihrer Art ganz üblich, begrenzt – nicht aber für die Superkolonie. Deren Heerauf dem Feld wuchs im selben Ausmaß, wie das der Streamsider schrumpfte. Die kleinen Arbeiterinnen unter den Verteidigern begannen, sich ins Nest zurückzuziehen, während viele der Soldatinnen einen Kreis um den Nesteingang bildeten, Kopf nach außen, wie es dem typischen Manöver ihrer Art entsprach. Die Taktik, die oft erfolgreich war, wenn eine starke Kolonie einer anderen starken Kolonie mit denselben Kampfmethoden gegenüberstand, scheiterte diesmal kläglich. Die Streitmacht der Superkolonie wuchs zu einer Größe an, die es bei einem gewöhnlichen Kampf unter den Hügelameisen am Nokobee noch nie gegeben hatte.
    Die Angreifer durchbrachen den Soldatenring der Streamsider und drangen ins Nestinnere vor. Sie eilten hinunter in das Labyrinth unterirdischer Kammern und Gänge und unterwarfen und töteten jeden, auf den sie trafen. In der untersten Kammer fanden sie die Königin, umringt von einem Pulk ihrer Leibwache und von Minor-Arbeiterinnen aus ihrem Hofstaat. Die Invasoren zogen die Verteidiger einzeln weg und töteten sie ausnahmslos. Ein Dutzend von ihnen packten die Königin und spreizten ihr die Glieder. Eine Soldatin schnitt ihr den Kopf ab, andere begannen ihren Körper nach oben zu schleppen für die lange Reise ins Nest der Superkolonie, wo er als Nahrung dienen sollte. Kaum eine Stunde nach dem abschließenden Angriff auf den Nesteingang der Streamsider war die Schlacht zu Ende.
    Die Eroberer nahmen bei den Streamsidern keine Puppen mit und machten keine Gefangenen unter den kleinen, frisch geschlüpften Arbeiterinnen. Dank der ausnehmend starken Reproduktionsfähigkeit ihrer eigenen Kolonie, zumal wenn sie die Ressourcen eines kürzlicheroberten Gebietes nutzen konnten, brauchten sie keine Sklaven. Sie töteten sämtliche jungen Gefangenen an Ort und Stelle und trugen ihre Leiber als Nahrung ins Nest der Superkolonie.
    Nur wenige Streamsider konnten der abschließenden Schlacht entkommen und sich in der umliegenden Vegetation verstecken. Wie die Trailhead-Flüchtlinge, die ihre eigene Kolonie einst vertrieben hatte, starben die meisten von ihnen innerhalb weniger Stunden.
    Andere Kolonien am Seeufer des Nokobee erlitten während des restlichen Sommers dasselbe Schicksal. Um Mittsommer herum war die Art und ein Großteil der übrigen Ameisenarten in einem Umkreis von einer Viertelmeile rund um das Ufer am Dead Owl Cove vollständig einer zusammenhängenden, gigantischen Superkolonie gewichen. Das Ameisenreich hatte alles erobert. Und nun herrschte in der Gegend eine seltsame neue Ruhe.
    Frieden und Stabilität hatten sich auf diese kleine Parzelle der Sumpfkiefersavanne gelegt. Keine Auseinandersetzungen mehr zwischen den Kolonien ihrer eigenen Art, keine Kriege, keine Konflikte innerhalb der Kolonie darüber, wem das Recht auf Reproduktion zustand. Nirgends mehr irgendwelche Koloniebindungen. Vergessen war die einstige Abhängigkeit von einer Königin-Mutter. Es gab ganze Scharen von überzähligen Kleinköniginnen, die ihren Platz einnehmen konnten, und jede von ihnen konnte sterben, ohne dass das spürbare Folgen nach sich zog. Friede im Land, vollkommene Gleichheit unter all seinen Bewohnern und potenzielle Unsterblichkeit für das Reich – und das alles als Belohnung für eine Veränderung in der Sozialstruktur.
    Mit einem einzigen Schlag, mit dem Auftreten einereinzigen Mikromutation, war eine Ära zu Ende gegangen und hatte eine neue begonnen. Dieser Teil des Ökosystems am Nokobee hatte eine Umwälzung seiner Herrschafts- und Lebensform erlebt.

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    D och selbst nach diesem

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