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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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aneinandervorbei, bahnten sich einen Weg in die Nähe des Objekts ihrer Begierde, und jeder kämpfte darum, der eine zu werden, der ein Weibchen begatten konnte. Selbst wenn ein Männchen schon seine Genitalien fest an die einer Königin geschmiegt hatte, setzte sich der Tumult rund um das Paar fort. Die gescheiterten Männchen rasten. Sich nur einmal zu paaren, und zwar genau hier und heute, war das einzige Ziel, für das sie lebten. Wenn sie eine Königin ein paar Sekunden zu spät ausmachten oder nicht unter vollem Einsatz ihres Lebens kämpften, hatte das die Niederlage und den Tod ohne Nachkommen zur Folge.
    Sieger und Verlierer gleichermaßen, flogen die Männchen nun auf – freilich nur, um zu sterben. In dieser Nacht häuften sich Tausende toter Tiere unter dem Verandalicht eines nahe gelegenen Farmhauses an der Straße zum Lake Nokobee. In der Dämmerung kamen kleine Vögel heran und hielten einen Festschmaus ab. Später am Morgen fegte die Besitzerin, eine ältere Dame, den Rest davon von der Veranda in den Vorgarten und fragte sich nur kopfschüttelnd, was um Gottes willen das hier zu bedeuten hatte.
    Die Königinnen dagegen hatten keinen Grund zur Sorge. Jede einzelne von ihnen konnte sicher sein, begattet zu werden. Nach der Paarung mit einem oder mehreren Männchen brachen sie ihre trockenen Hautflügel ab und stiegen zurück ins Nestinnere. Wenn sie Glück hatten, würden sie schon bald der eierlegenden Reproduktionsmacht der Superkolonie angehören.
    Doch dazu sollte es heute nicht mehr kommen. Ganz per Zufall hatten die Götter, die aussahen wie wandelnde Bäume, den Tag und die Stunde der Paarung dazuausersehen, das Schicksal der Zone zu besiegeln. Als die Gottheiten kamen, erstarb die Hochzeitsekstase auf den Nesthügeln der Superkolonie. Im einen Moment gab es noch kein Vorzeichen von den wandelnden Baumgöttern, aber im nächsten waren sie schon da, ihre Körper ragten turmhoch in den Himmel, weitere Baumstamm-Fortsätze schwangen sachte durch die Luft, und ihre Schatten und Gerüche huschten über das Nest der Superkolonie. Viele waren sie diesmal. Neben ihnen glitten große Gegenstände durch die Luft. Der Boden erzitterte, wo sie hintraten. Seltsame Geräusche kamen von oben, nicht wie Donner, sondern eher wie ein starker Wind, der durch die Baumkronen strich.
    Die Erscheinungen zogen weiter, hinter die östlichen Ausläufer des Nistgebiets der Superkolonie, bis ein paar Minuten später nichts mehr auf sie hindeutete.
    Eine Stunde später spürten die Ameisen, die immer noch außen auf dem Nest waren, dass die Götter wiederkamen. Aber diesmal konnten sie die Riesen nicht sehen. Stattdessen nahmen sie einen seltsamen, unangenehmen Geruch wahr. Die Ameisen waren alarmiert. Auf den Geruch reagierten sie, als wäre es ihr eigenes Alarmpheromon, das ein paar von ihnen als olfaktorischen Warnschrei vor einer drohenden Katastrophe ausgeschieden hatten. Sie begannen, in Kreisen und Bögen herumzulaufen, und suchten nach Feinden. Doch nichts war da. In weniger als einer Minute aber zog eine dünne chemische Wolke lautlos über sie hinweg, ein Nebel, der aus einem Giftsee aufstieg. Die Ameisen, die noch überirdisch waren, hoben ihren Kopf und wischten neugierig mit ihren Fühlern herum. In Sekundenschnelle brachen sie gelähmt zusammen. In wenigen Minuten waren sie alle tot. Alsder Nebel weiter zu Boden sank, kamen die Götter mit ihrer Ausrüstung, die neben ihnen durch die Luft glitt, und versprühten Ströme tödlicher Flüssigkeit in die Nesteingänge.
    Am nächsten Morgen war die große Ameisenstadt eine tote Umweltbrache, ein Schlachtfeld, Ort eines Myrmizids, ein Friedhof, völlig leblos und still. Nicht eine Ameise, nicht ein anderes kleines Lebewesen bewegte sich dort. Keine Vögel oder Eidechsen oder Eichhörnchen, die außerhalb der betroffenen Zone noch immer sehr zahlreich waren, suchten den ruinierten Landstrich auf. Büschel von Pflanzen, die von den göttlichen Besuchern nicht niedergetrampelt worden waren, standen noch immer aufrecht da, aber nicht eine Spur von Insektenleben regte sich auf oder neben ihnen. Die einzigen Geräusche waren das Säuseln des Windes über dem See, der durch die Kronen der umstehenden Sumpfkiefern strich, und das sanfte Plätschern der Wellen am Ufer.

26

    E ingezwängt in einer natürlichen Senke zwischen zwei Wurzeln einer Tintenbeere hatte die winzige Woodland-Kolonie die Zerstörungswut ihres übermächtigen Nachbarn heil überstanden. Die Todeszone,

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