Ameisenroman
ihnen. So nahm die Superkolonie etwa Koloniedüfte sehr viel schwächer wahr als andere Kolonien ihrer Art. Sie konnte zwar noch immer den Duft anderer Ameisenarten und nicht mutierter Kolonien ihrer eigenen Art unterscheiden, war aber unfähig, innerhalb ihrer eigenen Grenzen territoriale Unterteilungen vorzunehmen.
Durch die Schwächung des Geruchssinns verminderte die Mutation auch die Fähigkeit der Arbeiterinnen inder Superkolonie, den Königinduft wahrzunehmen. Folglich wurden nun mehrere Königinnen toleriert, ganz anders als die alleinige Königin-Mutter in nicht mutierten Kolonien. Diese Kleinköniginnen, wie man sie nennen könnte, waren überall in dem Netz von Tunnels und Kammern in dem weitläufigen Superkolonie-Nest verteilt. Die Kleinköniginnen waren auch kleiner als nicht mutierte Königinnen. Sie flogen zur Paarung nicht auf, und sie nahmen nicht die Mühen auf sich, um selbst eigene neue Kolonien zu gründen. Stattdessen kopulierten sie zur Paarungszeit einfach mit Männchen, auf die sie auf der Nestoberfläche trafen, und das konnten auch ihre eigenen Brüder oder Cousins unterschiedlich entfernten Grades sein; dann kehrten sie sofort ins Nestinnere zurück und machten sich an die Ablage von noch mehr Eiern für das Wachstum der Superkolonie.
Ein genetischer Defekt und eine körperliche Behinderung waren für die Superkolonie ironischerweise der Schlüssel zum Erfolg. Das Verschwinden interner Territorien, kombiniert mit der steten Nachproduktion von Königinnen, eröffnete der Superkolonie die Möglichkeit unbegrenzten Wachstums und machte sie potenziell unsterblich. Auch ermöglichte ihr die Mutation, ihrer Umwelt sehr viel mehr Ressourcen zu entziehen, als es für nicht mutierte Kolonien derselben Art denkbar war. Die Ameisen hatten mehr Platz für ihre Nester zur Verfügung. Dank ihrer dichten Populationen konnten sie sowohl mehr Insekten und Gliederfüßer überwältigen als auch andere Arten auslöschen, die mit ihnen um Nahrung konkurrierten.
Die Mutation hatte nicht nur die soziale Struktur ihrer Träger verändert, sondern auch die Regeln, nachdenen sie Krieg führten. Die Myridonen der Superkolonie überfielen rivalisierende Kolonien wie eine Horde Mongolen. Zu Beginn des Frühlings im Jahr nach dem Sieg der Streamside-Kolonie über die Trailhead-Kolonie erreichten die ersten Patrouillen die östliche Grenze des neu gesicherten Streamside-Territoriums. Die ersten Arbeiterinnen, die den Patrouillen begegneten, hatten keinen Begriff von dem, was ihnen da bevorstand – nämlich nichts weniger als die größte natürliche Bedrohung, die für diese Ameisen vorstellbar war. Armeen der Superkolonie erweiterten ihr Territorium ganz einfach, indem sie auf neu erobertem Land Nester bauten und dann Kundschafter aussandten, die das Gebiet in relativer Nähe erforschten. Wenn eine ausreichend große Expeditionsmacht an der Grenze versammelt werden konnte, um es mit jeder Kolonie aufzunehmen, die ihnen im Wege stand, so gingen sie ohne jedes Zögern zum Angriff auf ihre Nachbarn über.
Als immer häufiger Kundschafterinnen der Superkolonie auftauchten, boten ihre Kontrahentinnen aus der Streamside-Kolonie ihnen an, ein Turnier abzuhalten. Nach dem altüberlieferten Ritual ihrer Art ließen sie ihr Abdomen anschwellen, streckten die Beine zu Stelzen durch und versuchten, um die Eindringlinge herumzustolzieren. Die Kundschafterinnen der Superkolonie aber reagierten ganz unangemessen. Waren sie allein, so flohen sie umgehend und legten eine Duftspur nach Hause, um Verstärkung zu rekrutieren. Waren sie bereits in einer Gruppe unterwegs, gingen sie sofort zum Angriff über.
Nach ein paar Tagen solcher Ausfälle und unangemessener Reaktionen erreichten die Ameisen im nächstenSuperkolonie-Nest einen Grad von Ameisenmacht und Erregung, die für eine Militärexpedition ausreichte. Inzwischen waren einige Kundschafterinnen bereits weiter vorgedrungen und hatten das Streamsider-Nest selbst ausfindig gemacht. Ihre Duftspuren, die Alarmpheromone, die sie aussandten, und der Feindesgeruch auf den Körpern der heimkehrenden Kundschafterinnen lockten noch weitere Ameisen an die Grenze. Immer schneller wuchs die Menge der Kämpfer aus der Superkolonie, die zur Invasion bereitstanden. Eine Zeitlang noch boten die Verteidiger der Streamsider ein Turnier an. Als Antwort schlug ihnen von den Invasoren der Superkolonie bedenkenlose Aggression entgegen.
Schließlich ließen die Streamsider von der diplomatischen
Weitere Kostenlose Bücher